Seit 20 Jahren stagnieren die Arbeitszeiten in der Schweiz – obwohl die Arbeitsproduktivität stetig steigt. Mit 41,7 Stunden pro Woche haben wir den höchsten Vollzeitstandard Europas. Und viele von uns arbeiten noch viel mehr, denn das Gesetz begrenzt die wöchentliche Arbeitszeit bei 45, in vielen Branchen sogar bei 50 Stunden. Das ist zu viel!
Zugleich nahm die einseitige Flexibilisierung zu Ungunsten der Arbeitenden in den letzten Jahrzehnten drastisch zu. Arbeit greift über aufs Wochenende und in die Abende. Mit Jahresarbeitszeiten und Arbeit auf Abruf wälzen die Unternehmen das Betriebsrisiko auf die Beschäftigten ab. Und es ist kein Ende in Sicht! Auch aktuell sind wir mit Attacken auf die Ladenöffnungszeiten und auf das Arbeitsgesetz konfrontiert. Wenn es um die ständige Verfügbarkeit der Arbeitenden geht, kennen die Arbeitgeber und ihre Vertreter:innen im Parlament kein Halten.
Ihre neuste Zielscheibe sind die Teilzeitbeschäftigten, die nun stärker in den Arbeitsmarkt eingespannt werden sollen, um die Fachkräftesituation zu entspannen. Irreführende Zahlen suggerieren, die Arbeitenden würden immer fauler – die Missachtung unserer Realitäten könnte grösser nicht sein. In Tat und Wahrheit nehmen die Teilzeitarbeitenden unter uns beträchtliche Nachteile in Kauf. Sie suchen verzweifelt einen Ausweg aus einem System, in welchem der Vollzeitstandard zu hoch ist, der Druck und der Stress zunimmt, die unbezahlte Haus- und Familienarbeit aber natürlich nicht abnimmt. Für die 350’000 Kolleg:innen, die gegen ihren Willen in kleinen Pensen arbeiten, ist die Argumentation der Arbeitgeber sowieso ein Schlag ins Gesicht. Diese Personen müssen zu einem ihren Bedürfnissen entsprechenden Pensum fest angestellt werden.
Wir kennen die Argumentation schon. Ob Fachkräftemangel, Energieknappheit, Pandemie oder Frankenschock: jede Krise ein Vorwand, um Schutzbestimmungen abzubauen und Mehrarbeit zu fordern. Viele dieser Angriffe konnten wir abwehren. Aber kaum ist einer vom Tisch, liegen zwei neue vor. Wir können’s nicht mehr hören, es reicht.
Wir wollen nicht leben, um zu arbeiten. Arbeit soll ein gutes Leben ermöglichen. Deswegen ruft jeder neue Angriff auf unsere Zeit unsere umso entschiedenere Abwehr hervor. Deswegen wollen wir den Kampf in den Branchen intensivieren – Schluss mit zerstückelten und überlangen Arbeitstagen, mit unbezahlter Weg- und Umkleidezeit, mit der Sechs-Tage-Woche, den unterbezahlten Überstunden und der miesen Planung, die uns ein Privat- und Familienleben verunmöglicht! Wir brauchen auch mal Feierabend. Wir brauchen freie Wochenenden und eine frühzeitige Planung unserer Einsätze. Wir wollen mehr Zeit zum Leben, das ist unser Zukunftsentwurf.
Realisieren können wir ihn nur, wenn wir das blockierte Rad der kollektiven Arbeitszeitverkürzung wieder anstossen. Die überlange Arbeitswoche bringt uns ans Limit. Und sie ist eine schreiende Ungerechtigkeit: Wir leisten immer mehr und werden zeitlich nicht entlastet. Die Produktivitätsgewinne landen in den Taschen unserer Chefs.
Wir Delegierten am Unia-Kongress fordern deswegen heute energisch eine Reduktion der Arbeitszeiten mit vollem Lohn- und Personalausgleich. Sie ist die Antwort auf die Gesundheitsrisiken am Arbeitsplatz – wir brauchen mehr Zeit für Erholung! Sie ist die Antwort auf die Herausforderung, Erwerbsarbeit und unbezahlte Haus- und Familienarbeit gerecht zu verteilen. Und wir sind sicher, dass wir mit einem neuen Vollzeitstandard den Weg in eine nachhaltige und gerechtere Zukunft ebnen, denn die digitale und ökologische Transformation der Arbeitswelt wird eine Neuverteilung von Arbeit notwendig machen. Packen wir es an: Es ist höchste Zeit.