In der Schweiz sind Gewerkschaftsrechte wie das Streikrecht gesetzlich verankert. Die Realität sieht für Arbeitnehmende, die für ihre Rechte oder die ihrer Kolleg:innen einstehen, oft anders aus. Wir brauchen einen anständigen Kündigungsschutz.
In der Schweiz ist die Gewerkschaftsfreiheit in den Grundrechten verankert. Alle haben das Recht, sich einer Gewerkschaft anzuschliessen. Auch das Streikrecht ist in der Verfassung garantiert. Verschiedene Vorfälle zeigen aber, dass diese Rechte in der Realität nicht gewährleistet sind: Streikende werden bestraft, Personalvertreter:innen und Gewerkschaftsaktivist:innen werden bei Konflikten gekündigt.
Der Streik ist ein Recht der Arbeitnehmenden. Die Schweizerische Bundesverfassung (Artikel 28) garantiert dieses Recht ausdrücklich. Auch das europäische und das internationale Recht (ILO-Konvention), welche in der Schweiz ebenfalls gelten, halten das Recht der Lohnabhängigen fest, zusammen mit ihren Gewerkschaften die Arbeit niederzulegen.
Zum Mittel des Streiks greifen auch in der Schweiz immer wieder Beschäftigte, wenn sie in Arbeitsfragen keinen anderen Ausweg mehr sehen. Zum Beispiel in Industriebetrieben, wenn Arbeitsplätze oder Löhne abgebaut werden. Auf dem Bau, wenn der Gesamtarbeitsvertrag gefährdet ist oder Lohndumping betrieben wird. Oder im Dienstleistungsbereich gegen Tieflöhne und schlechte Arbeitsbedingungen.
Die Unia hat viele Erfahrungen mit Streiks gesammelt. Unsere Gewerkschaftssekretär:innen unterstützen Belegschaften in Arbeitskonflikten beim Verteidigen ihrer Interessen.
In der Schweiz haben alle das Recht, sich einer Gewerkschaft anzuschliessen – die Vereinigungsfreiheit ist garantiert. Zudem hat die Schweiz die Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) unterzeichnet, die diese Rechte gewährleisten.
Die Sozialpartnerschaft basiert auf der Möglichkeit der Arbeitnehmenden, ihre Kolleg:innen bei Verhandlungen oder Konflikten zu vertreten. Wenn Arbeitgeber aber Vertreter:innen des Personals und der Gewerkschaften bestrafen und sogar kündigen können, wird die Gewerkschaftsarbeit verunmöglicht.
In praktisch allen europäischen Ländern sind Personalvertreter:innen und Gewerkschaftsaktivist:innen speziell vor Kündigungen geschützt. Nicht so bei uns.
Das Gesetz hält in der Schweiz die Arbeitgeber nicht ausreichend davon ab, Personalvertreter:innen, Whistleblower:innen und Arbeitnehmende, die sich für ihre Rechte einsetzen, zu entlassen. Der Kündigungsschutz ist viel zu schwach – auch ältere, schwangere und kranke Arbeitnehmende sind ungenügend geschützt. Eine missbräuchliche Entlassung ist ein traumatisches Ereignis, das den Betroffenen finanziell, psychisch und beruflich schwer schadet.
Das Problem ist seit über 20 Jahren akut. 2003 reichten die Gewerkschaften die erste Beschwerde bei der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) ein. Nichts passierte, was die Schweiz mehrmals in eine beschämende Situation brachte; sie wurde dafür international gerügt:
Im Jahr 2019 leitete Bundesrat Guy Parmelin einen Vermittlungsprozess zwischen Bund, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden ein, um eine Lösung zu definieren. Im November 2023 beschloss er aus unerklärlichen Gründen, diesen Prozess zu suspendieren. Erst auf grossen Druck der Gewerkschaften wurde die Mediation im Herbst 2024 wieder aufgenommen. Allein im 2023 wurden in der Schweiz 21 Fälle von gewerkschaftsfeindlichen Entlassungen dokumentiert. Die Dunkelziffer dürfte höher sein. Wir fordern abschreckende Massnahmen, die sich an den Regelungen anderer europäischer Länder orientieren. Es müssen bei missbräuchlicher Kündigung Strafen von mindestens 12 Monatslöhnen und die Wiedereinstellung der betroffenen Arbeitnehmenden an ihrem Arbeitsplatz vorgesehen werden.
Die folgende Liste dokumentiert ausgewählte exemplarische Fälle von 2021 bis 2024, in denen Arbeitnehmende für ihre Rechte oder diejenigen ihrer Kolleg:innen eintraten und daraufhin entlassen wurden. Sie zeigt: Für viele Betroffene ist der mangelhafte gesetzliche Schutz ein echtes Problem.
Arbeitnehmende von Rolex in Genf klagten über Mobbing, Druck und sexuelle Belästigungen. Nach Intervention der Gewerkschaft Unia und des kantonalen Arbeitsinspektorats (OCIRT) wurden fünf Verantwortliche versetzt oder entlassen. Die Unia fordert weiterhin die Wiedereinstellung eines Mitarbeiters, der Missstände gemeldet hatte und unter falschem Vorwand gekündigt wurde.
Beschäftigte einer Filiale der Geschenkartikelkette Flying Tiger gelangten an die nationale Geschäftsleitung in Luzern mit der Forderung nach Gesprächen über Löhne, Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen. Die Geschäftsleitung verweigerte das Gespräch, zugleich versuchten die Personalverantwortlichen, die Angestellten in Einzelgesprächen einzuschüchtern. Einige von ihnen erhielten in der Folge keine oder nur noch wenige Schichten zugeteilt. Sieben Beschäftigte suchten das Gespräch mit einer neu eingestellten Filialleiterin, um die Situation zu besprechen. Diese sieben Personen wurden daraufhin entlassen.
Ein Bauarbeiter wurde entlassen, nachdem er auf gravierende Sicherheitsmängel aufmerksam gemacht hatte. Da die Geschäftsleitung ein Gespräch über die mangelhafte Sicherheit verweigerte, wandte sich der Arbeiter an die Unia und die Suva. Am selben Tag, als die Unia die Baustelle besuchte und eine Suva-Kontrolle für den nächsten Tag ankündigte, wurde der Arbeiter nach Hause geschickt. Am folgenden Tag wurde er zum Hauptsitz zitiert und entlassen.
Ein Gewerkschaftsvertreter in der Giesserei Kugler hatte sich erfolgreich gegen eine Massenentlassung im Betrieb eingesetzt. Dann wurde er selber entlassen. Nach einer Streikaktion und darauffolgenden Verhandlungen wurde ein Abkommen getroffen, das dem betreffenden Kollegen immerhin eine Abfindung garantierte.
Über mehrere Monate wehrten sich Fahrer:innen des Kurierdienstes DPD gegen schlechte Arbeitsbedingungen und Verstösse gegen das Arbeitsgesetz. Im Tessin gründeten die Fahrer:innen ein Kollektiv, das Verhandlungen mit der Depotleitung forderte. Fünf Fahrer wurden entlassen, weil sie gemeinsam mit der Gewerkschaft Unia gegen die Missstände vorgegangen waren.
Beim Paketunternehmen Planzer forderten die Kurier:innen unter anderem weniger Stress bei der Arbeit, die Nachzahlung von Spesen und Überzeit-Zuschlägen und die Einhaltung des Maximalgewichts von Paketen. Daraufhin erhielten drei gewerkschaftlich aktive Arbeitnehmer die Kündigung und viele weitere wurden verwarnt.
Die Kurier:innen des Foodlieferdienstes Smood in der Westschweiz wehrten sich u.a. mit einem mehrwöchigen Streik gegen unhaltbare Arbeitsbedingungen. Das Unternehmen musste einige gesetzeswidrige Praktiken korrigieren. Drei Personen wurden später entlassen, weil sie sich an gewerkschaftlichen Aktivitäten beteiligt hatten.