Positionspapier der Gewerkschaft Unia, verabschiedet an der Delegiertenversammlung vom 6. Dezember 2025
Die Würde der Arbeitnehmenden in der Schweiz ist in Gefahr. Die geltenden Arbeitsrechte bieten angesichts neuer Arbeitsformen und der enormen Beschleunigung und Verdichtung der Arbeitswelt nicht genügend Schutz. Das macht die Arbeitenden krank. Zudem fehlen Antworten auf weit verbreitete Diskriminierungen am Arbeitsplatz, technische Umwälzungen und klimatische Bedrohungen.
Das muss sich ändern. In den nächsten vier Jahren setzen wir uns entschlossen für eine echte Humanisierung des Arbeitsrechts ein und nehmen die Arbeitgeber in die Pflicht, die Gesundheit der Arbeitnehmenden zu schützen:
Mehr Zeit zum Leben! Weil wir immer mehr in derselben Zeit leisten müssen, brauchen wir für einen anständigen Gesundheitsschutz mehr Erholung. Wir brauchen mehr Zeit für uns in Form von kürzeren Arbeitswochen und mehr Ferien bei vollem Lohn- und Personalausgleich.
40 und mehr Wochenarbeitsstunden sind zu viel! Die vertraglichen Arbeitszeiten müssen deutlich reduziert werden.
Vier bis sechs Ferienwochen sind zu wenig! Es müssen mindestens acht für Lernende und sechs für alle andern sein.
Zudem muss die wöchentliche Höchstarbeitszeit auf 45 Stunden begrenzt und in einem nächsten Schritt gesenkt werden.
Arbeitstage dürfen nicht ausfransen oder zerstückelt werden: Zimmerstunden und andere Formen von geteilten Diensten sind einzuschränken und Ruhezeiten sowie das Prinzip der Nichterreichbarkeit müssen respektiert werden.
Der tägliche Arbeitszeitraum ist auf 10 Stunden zu begrenzen und die Ruhezeiten müssen verlängert werden.
Flexible Arbeit muss teurer werden: Überstunden und Überzeit müssen die Ausnahme sein.
Es braucht höhere Zuschläge ab der ersten Stunde wie auch substanzielle Zuschläge für alle Samstags- und Sonntagsarbeit.
Die Wegbedingung von Überstundenzuschlägen gehört abgeschafft.
Schluss mit der lückenhaften Arbeitszeiterfassung: Umkleide-, Vorbereitungs-, Nachbereitungs-, Warte- und Reisezeiten gehören zur Arbeit und müssen miterfasst und bezahlt werden.
Planbarkeit verbessern, Unberechenbarkeit bezahlen: Damit wir unsere arbeitsfreie Zeit zur Erholung nutzen können, sind Ankündigungsfristen für Dienstpläne ein Muss, mindestens mit vier Wochen Vorlauf.
Planänderungen beziehungsweise kurzfristiges Einspringen müssen zusätzlich entschädigt werden und Arbeitnehmende müssen berechtigt sein, kurzfristige Änderungen abzulehnen.
Stärkere Rechte für einen guten Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz: Die Gesundheit der Arbeitnehmenden muss besser geschützt werden, denn die Bedrohungen sind enorm. Arbeitsbedingte Erschöpfungskrankheiten nehmen stark zu. Arbeitnehmende stehen unter Druck und Stress, was auch dazu führt, dass sie öfters verunfallen und häufiger krank werden.
Die zunehmende Hitze ist für die Arbeitenden eine grosse Gefahr, vor allem bei Arbeit im Freien, aber auch in schlecht ausgestatteten Innenräumen: Auch dadurch steigt das Unfallrisiko sowie das Risiko von Herz-Kreislauferkrankungen. Wir fordern konkrete, wirksame, konsequente und praktikable Massnahmen zur Förderung und Sicherstellung der körperlichen und psychischen Gesundheit der Arbeitnehmenden sowie der Sicherheit am Arbeitsplatz.
Wir wollen wirksame Burnout-Präventionen und dass die Arbeit den sich wandelnden klimatischen Bedingungen angepasst wird: Arbeitsräume müssen entsprechend ausgestattet und die Schutzmassnahmen bei steigendenTemperaturen konsequent eingehalten werden. Ab 33° muss die Arbeit im Freien eingestellt werden!
Ein zentrales Element eines wirksamen Gesundheitsschutzes ist die Stärkung der kollektiven Mitsprache und Autonomie der Mitarbeitenden. Wer mitentscheiden kann, ist besser in der Lage, Überlastung zu vermeiden. Autonomie fördert nicht nur das Wohlbefinden, sondern auch die Motivation. Deshalb müssen die Mitwirkung der Arbeitnehmenden zum Gesundheitsschutz sowie die Mitbestimmungsrechte für die Arbeitnehmendenvertretung gestärkt werden. Das ist insbesondere auch bei der Festlegung von Produktivitätszielen und Managementsystemen nötig, nur so kann der schädlichen Arbeitsverdichtung entgegengehalten werden.
Anpassung des Gesundheitsschutzes an internationale Standards: Die Schweiz muss das Übereinkommen 155 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ratifizieren, um das Recht auf Arbeitseinstellung bei Gefahr zu stärken, und das Übereinkommen 187, um sich zur Schaffung eines Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz zu verpflichten. Beide Übereinkommen konkretisieren das Grundrecht auf ein sicheres und gesundes Arbeitsumfeld.
Wirksamer Gewalt- und Diskriminierungsschutz: Mehr als die Hälfte der Arbeitnehmenden in der Schweiz ist unerwünschten sexistischen oder sexuellen Verhaltensweisen oder sogar sexueller Belästigung ausgesetzt. Frauen, junge Berufstätige und Auszubildende sind besonders betroffen.
Am Arbeitsplatz und auf dem Arbeitsmarkt gibt es auch immer mehr Fälle von rassistischer sowie von LGBTQIA+-feindlicher Diskriminierung. Der rechtliche Schutz muss verbessert werden. Es braucht eine Beweislasterleichterung analog der Formulierung bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Gleichstellungsgesetz und einen effektiven und fairen Zugang zur Justiz.
Zudem muss das Parlament die ILO-Konvention 190 gegen Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz endlich ratifizieren.
Bessere Rechte für werdende Mütter: Werdenden Mütter können ab einem gewissen Stadium der Schwangerschaft nicht mehr alle Arbeiten zugemutet werden. Heute werden sie deshalb oft frühzeitig krankgeschrieben. Aber Schwangerschaft ist keine Krankheit! Es braucht ein neues Recht auf eine vorgeburtliche Schutzzeit mit garantierter Lohnfortzahlung.
Besserer Kündigungsschutz: Die Schweiz wird von der ILO zurecht für ihren ungenügenden Kündigungsschutz kritisiert. Er ist arbeitgeberfreundlich und muss zugunsten der Arbeitnehmenden überarbeitet werden. Insbesondere ältere Arbeitnehmende, schwangere Frauen, Frauen nach dem Mutterschaftsurlaub und Arbeitnehmende, die sich im Betrieb für bessere Arbeitsbedingungen oder für mehr Arbeitssicherheit einsetzen, müssen besser gegen Kündigungen geschützt werden.
Wir fordern, dass Kündigungen immer begründet werden müssen. Bei missbräuchlichen Kündigungen müssen die Sanktionen viel härter ausfallen als das heute der Fall ist, und es braucht ein Recht auf Wiedereinstellung.
Stärkung der Rechte bei Massenentlassungen: Die Rechte der Arbeitnehmenden bei Umstrukturierungen oder Auslagerungen sind unzureichend und werden regelmässig missachtet.
Die Definition der Massenentlassung, die Mitbestimmungsrechte, die Dokumentations- und Transparenzpflichten des Betriebs während der Konsultationsfrist müssen verbessert werden.
Es müssen längere verbindliche Fristen festgelegt werden, um dem Personal zu ermöglichen, echte Alternativen zu den Kündigungen vorzuschlagen.
Bei Verstössen gegen die Konsultations- und Mitbestimmungsrechte müssen Sanktionen verhängt werden, die sich nach dem Umsatz des Betriebs richten und dem Sozialplan zugutekommen.
Regulierung von künstlicher Intelligenz (KI): Algorithmen dürfen nicht diskriminieren, wie dies zum Beispiel bei Bewerbungsprozessen heute schon häufig der Fall ist.
Wir wollen wissen, wie digitale Tools an unseren Arbeitsplätzen eingesetzt werden und ihre Entscheidungen überprüfen sowie dagegen intervenieren können.
Arbeitgeber müssen für KI-bedingte Fehlentscheidungen haften, denn sie verantworten ihren Einsatz.
Es braucht Weiterbildungsrechte, damit alle von der Digitalisierung profitieren.
Der Einsatz digitaler und KI-gestützter Prozesse und Systeme erfolgt auch, um massive Automatisierungs- und Rationalisierungsgewinne in Produktion, Verwaltung und bei kundennahen Dienstleistungstätigkeiten zu erzielen. Damit wird eine Vielzahl von Arbeitsplätzen gefährdet. Es bedarf einer Beschäftigungssicherung und arbeitsmarktpolitischer Massnahmen, die die Beschäftigungsfähigkeit der Betroffenen sicherstellen.
Arbeitsrechte für alle: Die Ausklammerung bestimmter Berufsgruppen, zum Beispiel Angestellte in privaten Haushalten, vom Schutz durch das Arbeitsgesetz ist eine historische Altlast und gehört entsorgt. Das Arbeitsgesetz soll für alle gelten.
Gesamtarbeitsverträge (GAV) und Gesetze müssen Beschäftigte in neuen Arbeitsformen gleichermassen schützen wie ihre Kolleg:innen mit Festanstellungen.
Für die Regulierung der Temporär- und der Plattformarbeit soll sich die Schweiz an den europäischen Richtlinien ein Beispiel nehmen.
Arbeitsrechte mit Wirkung: Arbeitsrechte, die nicht durchgesetzt werden, bleiben zahnlos. Es braucht deutlich mehr Arbeitsinspektor:innen als heute, stärkere und unangekündigte Kontrollen sowie ein Sanktionsinstrumentarium, das, indem Vorstösse konsequent bestraft werden, tatsächlich präventiv wirken kann. Die Kontrollen der Arbeitsbedingungen bei öffentlichen Beschaffungen und die Kontrollen der Lohngleichheit müssen deutlich verstärkt werden.
Bürgerliche Parlamentarier:innen wollen die Arbeitsrechte zu Lasten der Arbeitnehmenden schwächen. Sie haben diese Themen auf die Agenda gesetzt:
Diesen Angriffen werden wir uns entschieden und wo nötig auch mit Kampfmassnahmen widersetzen.
Gewerkschaft Unia 2025