1. Mai im Zeichen der Lohngleichheit. Punkt. Schluss!
Seit 1981 steht der Grundsatz «gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit» in der Verfassung, seit 1996 im Gesetz. Dennoch klafft zwischen Frauen- und Männerlöhnen bis heute eine gewaltige Lücke. Die Frauen, aber auch immer mehr Männer, sind nicht länger bereit, diese Missachtung ihrer verfassungsmässigen Rechte hinzunehmen.
Die Unia als grösste Gewerkschaft der Schweiz engagiert sich stark an den zahlreichen 1. Mai-Veranstaltungen, an denen auch dieses Jahr Zehntausende Menschen in der ganzen Schweiz teilnehmen.
Vania Alleva: Die Wahl zwischen Solidarität und sozialer Spaltung
Unia-Präsidentin Vania Alleva erinnert bei ihrer Ansprache in Zürich an die Geschichte der Frauenkämpfe in der Schweiz und hat als Beispiele den langen, schliesslich erfolgreichen Kampf um das Frauenstimmrecht und die Mutterschaftsversicherung genannt: «Als Gewerkschafterinnen wissen wir, dass uns nichts geschenkt wird, weder im Betrieb, noch in der Gesellschaft. Wir wissen, dass bessere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen, bessere Renten nicht einfach vom Himmel fallen. Wir wissen, dass alles hart erkämpft werden muss. Dass wir nur sozialen Fortschritt erreichen, wenn wir den nötigen Druck aufbauen.»
Am Beispiel der systematischen Diskriminierung von Frauen und Migrant/innen macht Alleva deutlich, dass die Gewerkschaften der kapitalistischen Ausbeutungslogik nur entgegentreten können, wenn sie alle Arbeitnehmenden unabhängig von Geschlecht oder Pass organisieren. Der Kampf «gegen die Spaltung, für gleiche Rechte für alle» sei der Grundsatz der heutigen Gewerkschaftsarbeit.
Die neoliberale Globalisierung habe mit drei Jahrzehnten Marktideologie, Profitmaximierung und Abzockerei schwere Verwüstungen angerichtet: Sozialabbau und Sparpolitik, entfesselte Kapitalmärkte, Steuergeschenke an Reiche, Privatisierung des Service Public und des Gesundheitswesens. Das Engagement für die Lohngleichheit der Frauen sei Teil der Kampfes gegen diese Politik: «Es geht dabei um viel mehr, als um ein paar Worte in der Bundesverfassung. Wenn wir sagen: „Lohngleichheit. Punkt. Schluss!“, dann geht es, ganz grundsätzlich, um die Wahl zwischen Solidarität und sozialer Spaltung.»
Corinne Schärer: Für die Würde der Frauen und den Schutz der Arbeitnehmenden
GL-Mitglied Corinne Schärer spricht in ihrer Rede in Rheinfelden die aktuelle Reform des Gleichstellungsgesetzes an. Der Ständerat, der sogar einen schwachen Gesetzesentwurf zur besseren Durchsetzung der Lohngleichheit zurückwies, habe sich einen «Affront gegenüber den Frauen» geleistet. «Diese Arroganz und dieses Machtgehabe der Herren Arbeitgeber und Politiker, mit der sie über die Frauen und ihr Schicksal bestimmen wollen, lassen wir uns nicht bieten», so Schärer. Sie rief zu einer massiven Teilnahme an der Kundgebung für Lohngleichheit am 22. September in Bern auf.
Schärer kritisiert auch den Angriff der Rechten auf die Personenfreizügigkeit mit der EU und die Flankierenden Massnahmen, die gleichzeitig einen Frontalangriff auf den Schweizer Lohn- und Arbeitnehmendenschutz darstellen. «Die Flankierenden Massnahmen wurden eingeführt, damit in der Schweiz Schweizer Löhne bezahlt werden. Pro Jahr werden mittlerweile über 160‘000 Lohnkontrollen gemacht. Wo kontrolliert wird, werden auch Missbräuche aufgedeckt.» Wer dies alles aufs Spiel setze, verursache Arbeitslosigkeit und Lohndruck.
Corrado Pardini: Gewerkschaften müssen den sozialen Fortschritt durchsetzen
Auch Unia-Industriechef Corrado Pardini geht in seiner Rede in Biel auf die skandalöse Lohndiskriminierung der Frauen ein. «Lohn- und Chancenungleichheit verstossen gegen Menschenrecht, weil sie eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts sind. Darum ist Lohngleichheit kein Frauenanliegen.» Vielmehr sei sie symptomatisch für die Zuspitzung der gesellschaftlichen Konflikte. Das Jahr 2018, hundert Jahre nach dem Generalstreik, markiere eine grosse Auseinandersetzung um die Zukunft des Landes.
«Es ist nett, aber naiv, zu glauben, es gebe keinen fundamentalen Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit. Wir sitzen nicht im gleichen Boot. Sozialer Friede ist gut. Er dient allen. Aber seine Grundlage ist unsere Fähigkeit als Gewerkschaften, den sozialen Fortschritt durchzusetzen. Wir sind keine Bittsteller, wir sind die Mehrheit, die den Wert schafft.
Einiges haben wir erreicht, etwa höhere Löhne für die tiefsten Lohnklassen. Und wir haben einiges verhindert, mit den Mitteln der direkten Demokratie. Aber für die verschärften Auseinandersetzungen der neuen Zeit müssen wir uns mental und organisationsmässig noch besser aufstellen.» Die politische Richtung sei klar: «Gerechtigkeit, ökologischer Umbau, soziale Digitalisierung und mehr Chancen für alle.»
Véronique Polito: Überzeugung und Widerstandskraft
In ihrer Rede in Interlaken forderte GL-Mitglied Véronique Polito, in Sachen Lohngleichheit endlich über Absichtserklärungen hinauszugehen: «Das ist, was wir heute wollen und fordern: konsequente Kontrollen in den Betrieben, um zu verhindern, dass man in der Schweiz mit Frauen Dumping im grossen Stil betreibt! Nicht mehr, nicht weniger. Das wollen wir für unsere Töchter, für unsere Schwestern, für unsere Frauen, unsere Familien und unsere Gesellschaft!»
Die Durchsetzung dieser Rechte zu erkämpfen, brauche «viel Überzeugung, grosse Widerstandskraft, eine enorme Solidarität und viele engagierte Kolleginnen und Kollegen – wie die Schweiz es in ihrer Geschichte immer wieder erlebt hat».
Nico Lutz: Für Gesamtarbeitsverträge mit mehr Schutz
Nico Lutz, Leiter des Unia-Sektors Bau, spricht in Fribourg über die Bedeutung der Gesamtarbeitsverträge für die sozialen Errungenschaften der Arbeitnehmenden: «Dieses Jahr laufen wichtige Gesamtarbeitsverträge aus und es stehen harte Verhandlungen an. Im Bauhauptgewerbe greifen die Baumeister den Gesamtarbeitsvertrag und die Rente mit 60 frontal an. Sie wollen für ältere Arbeitnehmer die Löhne senken und den Kündigungsschutz verschlechtern sowie die Arbeitszeit auf bis zu 50 Stunden pro Woche erhöhen. Und noch mehr: Sie wollen die Rente mit 60 kaputt machen.
Wer den GAV und die Rente mit 60 angreift, der greift die Würde der Bauarbeiter an. Aber die Bauarbeiter haben in der Vergangenheit bewiesen: Sie sind bereit für ihre Würde und ihre Rechte zu kämpfen. Wenn der Baumeisterverband nicht endlich an den Verhandlungstisch kommt und Hand bietet zu sinnvollen Lösungen, dann wird es auf den Baustellen einen sehr heisste Herbst geben.»