Baumeister blockieren familienfreundliche Arbeitszeiten – Bauarbeiter haben über Streik entschieden

Die Verhandlungen zum neuen Landesmantelvertrag laufen seit dem Sommer – eine Lösung ist aber nicht in Sicht. Obwohl jeder Zweite die Branche verlässt, blockiert der Baumeisterverband familienfreundliche Arbeitszeiten. Rund 20’000 Bauarbeiter stimmten deshalb in einer landesweiten Abstimmung für Streikmassnahmen. Die Gewerkschaften Unia und Syna informierten heute an einer Medienkonferenz darüber.

Der Landesmantelvertrag für das Bauhauptgewerbe (LMV) regelt die Arbeitsbedingungen der rund 80'000 Bauarbeitern in der Schweiz. Der Gesamtarbeitsvertrag läuft Ende Jahr aus und wird deshalb aktuell neu verhandelt. Ohne Einigung bis Ende Jahr droht zum ersten Mal seit über einem Jahrzehnt ein vertragsloser Zustand auf dem Bau. 

Bauarbeiter sind am Limit: Es braucht familienfreundlichere Arbeitszeiten

Die Sicherstellung von anständigen Arbeitszeiten ist zentral für eine Lösung im aktuellen Arbeitskonflikt auf dem Bau. Aufgrund von überlangen Arbeitszeiten, die ein normales Familien- und Privatleben erschweren, verlassen immer mehr die Branche.

«Die Bauarbeiter sind am Limit. Arbeitstage bis neun Stunden in der Sommerhitze, Überstunden obendrauf und mehrstündige Reisezeiten vom Betrieb zur Baustelle. Kein Wunder kehren viele Bauarbeiter der Branche den Rücken. Es braucht Verbesserungen, damit die Bauarbeiter, die bei Wind und Wetter unser Land bauen, auch ein Familienleben haben können», sagt Nico Lutz, Verhandlungsleiter und Mitglied der Unia-Geschäftsleitung.

Die Bauarbeiter haben klare Forderungen:

  • Schluss mit unbezahlter Reisezeit zur Baustelle: Heute wird die Reisezeit vom Betrieb zur Baustelle erst nach 30 Minuten überhaupt entschädigt und zählt entgegen dem Gesetz nicht zur Arbeitszeit.
  • Bezahlte Znüni-Pause: In anderen Berufen längst Standard.
  • Kürzere Arbeitstage: Acht Stunden harte Arbeit sind genug.
  • Garantierter Teuerungsausgleich zur Sicherung der Kaufkraft.

Baumeister fordern stattdessen noch längere Arbeitstage für weniger Lohn 

Die Personalkrise der Branche ist breit anerkannt. Eine Studie im Auftrag des Bündnerischen Baumeisterverbands bestätigt: «Die Rekrutierung von Fachkräften im Bauhauptgewerbe bereitet zunehmend Schwierigkeiten. […] Die langen Präsenzzeiten erschweren die Vereinbarkeit mit familiären Verpflichtungen und die gesellschaftliche Vernetzung.»

Doch geht es nach der Verbandsspitze des Baumeisterverbands, sollen die Bauarbeiter künftig noch längere Arbeitstage haben – bei weniger Lohn: bis 50 Stunden pro Woche, mehr als doppelt so viele Überstunden zu tieferer Entschädigung, Arbeit auf Abruf und Streichung des generellen Lohnzuschlags von 25 Prozent für Samstagsarbeit. Zudem sollen langjährige Bauarbeiter über 55 schneller entlassen zu können. 

An der vierten Verhandlungsrunde, die diese Woche stattfand, setzte die Baumeisterspitze noch eins drauf: Für ausgelernte Bauarbeiter sollen die Mindestlöhne während fünf Jahre nach Lehrabschluss um bis zu 25 Prozent unterschritten werden dürfen – und das in einer Branche, in der bereits heute jede zweite Fachkraft geht, jeder zehnte Ausgelernte sogar innerhalb der ersten fünf Jahre nach Lehrabschluss!

«Für die Bauarbeiter kommt weder eine Weiterführung der heutigen Missstände noch eine zusätzliche Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen in Frage – sonst droht der Kollaps der Branche.», so Michele Aversa, Co-Branchenleiter der Gewerkschaft Syna.

Breite Streikabstimmung: Bauarbeiter beschliessen Kampfmassnahmen 

Aufgrund der fehlenden Aussicht einer schnellen Einigung plädierten die Gewerkschaften in den letzten Monaten mehrfach für zusätzliche Gesprächstermine, um den Weg für eine Lösung freizumachen – der Baumeisterverband lehnte dies mehrmals ab und beharrte stattdessen auf seine Forderungen. 

Deshalb beteiligten sich in den letzten Wochen rund 20’000 Bauarbeiter an einer landesweiten Streikabstimmung. Mit eindeutigem Ergebnis: 89 Prozent sprechen sich für einen Streik aus, sollte die Baumeisterspitze weiterhin eine Lösung verweigern. 

Erste Protesttage beginnen bereits ab nächster Woche. So legen am kommenden Montag die Bauarbeiter im Tessin ihre Arbeit nieder. Die Bauarbeiter in weiteren Regionen folgen in den darauffolgenden Wochen: am 31. Oktober in Bern, am 3. und 4. November in der ganzen Romandie, am 7. November in der Nordwestschweiz und am 14. November in Zürich und in anderen Teilen der Deutschschweiz. Zeigt sich der Baumeisterverband weiterhin nicht verhandlungsbereit, Lösungen für die Personalkrise auf dem Bau finden, droht 2026 ein nationaler Branchenstreik.  


Medienmitteilung der Gewerkschaften Unia und Syna