Medienmitteilung des Bündnis Gesundheitspersonal
Trotz Annahme der Pflegeinitiative vor vier Jahren sinkt das Gesundheitswesen immer tiefer in die Krise: Das Gesundheits- und Pflegepersonal leistet immer mehr, viele sind überlastet, brennen aus und verlassen ihren Beruf. Gleichzeitig steigt aufgrund der demografischen Entwicklung der Bedarf an medizinischen Leistungen. Dies gefährdet die Gesundheitsversorgung der breiten Bevölkerung. Einen grossen Schritt können die Nationalrät:innen im Dezember machen, wenn sie über die zweite Etappe der Umsetzung der Pflegeinitiative debattieren.
Wie prekär die Situation an den Betten und in den Betrieben ist, zeigen die Redebeiträge von betroffenen Pflegenden. «Im Dienst, in dem ich arbeite, gibt es drei Pflegekräfte für 25 Patient:innen, darunter suizidale Personen, die ständig überwacht werden müssen, depressive Patient:innen, die für die meisten ihrer Handlungen an die Hand genommen und manchmal beim Waschen unterstützt werden müssen,» so beschreibt Eric Girodet, Pflegfachmann aus einer Psychiatrie (SCIV), wie sich der Personalmangel auf seine Arbeit auswirkt.
In den Alters- und Pflegeheimen gefährdet der Personalmangel die Versorgungsqualität. «Der Personalmangel stellt uns täglich vor ethische Herausforderungen. Pro Dienst sind wir meist zu fünft für 25 Bewohner:innen. Das ist zu wenig. Gute Pflege und Betreuung brauchen Zeit, insbesondere bei älteren und noch mehr bei dementen Menschen. Gute Pflege kann keine Fliessbandarbeit sein. Ansonsten werden wir unseren Bewohner:innen nicht gerecht,» sagt Monika Antenen (Unia), Pflegehelferin in einem Pflegeheim.
Marie-Odile Heim, Pflegefachfrau in einer privaten Spitexorganisation (VPOD) zeigt aus ihrer langjährigen Erfahrung das Dilemma vieler Pflegenden auf: «Die Abrechnungsmethode sieht vor, dass jede Handlung zeitlich erfasst wird und wir müssen auf die Minute genau arbeiten. Manchmal ist es möglich, oft ist es nicht möglich, oder wir werden zu unempfindlichen Maschinen. Ich behaupte, dass wir unsere Patient:innen misshandeln, wenn wir die von den Planungstools vorgegebenen Zeiten strikt einhalten.»
Nicht nur bei den Pflegenden, sondern auch bei den Assistenz- und Oberärzt:innen verschärfen die schwierigen Arbeitsbedingungen den bereits bestehenden Personalmangel: «Die Situation in den Spitälern führt dazu, dass das Arbeitsgesetz nicht eingehalten wird, dass sich die Ärzt:innen zunehmend erschöpft fühlen, dass kaum Zeit für Weiterbildung bleibt, dass teilweise das Patientenwohl gefährdet wird und dass sich junge Ärzt:innen fragen, ob der Beruf für sie überhaupt der richtige ist,» so Philipp Thüler, Leiter Politik und Kommunikation beim VSAO. In allen Bereichen des Gesundheitswesens führen die finanziellen Rahmenbedingungen zu belastenden und gesundheitsschädigenden Arbeitsbedingungen. Die daraus resultierenden Berufsausstiege verschärfen den Personalmangel dramatisch.
«Ich war wirklich der Meinung, dass wir mit der Pflegeinitiative für eine starke Pflege 2021 auf dem richtigen Weg waren, hin zu einem intelligenten Finanzierungssystem, das die Bedürfnisse der Bevölkerung und die Bedürfnisse der Gesundheitsfachkräfte berücksichtigt. Doch der vom Bundesrat ausgearbeitete Gesetzesentwurf ist eine monumentale Ohrfeige.», stellt Marie-Odile Heim (VPOD) fest. Voraussichtlich im Dezember berät der Nationalrat über ein neues Bundesgesetz über die Arbeitsbedingungen für das Pflegepersonal (BGAP). Die Nationalrät:innen müssen dringend nachbessern. Der Entwurf greift zwar etliche Probleme auf, aber Yvonne Ribi, Geschäftsführerin des SBK stellt fest: «Der bundesrätliche Vorschlag ist in der jetzigen Form ungenügend. Die fehlenden Regelungen für eine bedarfsgerechte Personalausstattung und eine angemessene Finanzierung sind nicht nur enttäuschend, sie sind auch ein direkter Widerspruch zu den zentralen Anliegen der Volksinitiative. Ein Gesetz, das keine Finanzierungslösungen bietet, ist zahnlos und ineffektiv.»
Lange rühmte sich die Schweiz, eines der besten Gesundheitswesen der Welt zu haben. Die aktuelle Situation gefährdet die Versorgungssicherheit der breiten Bevölkerung. Nico Fröhli, Branchenverantwortlicher Gesundheitswesen bei der Gewerkschaft Syna betont: «Es geht hier nicht nur um das Gesundheitspersonal. Es geht um uns alle. Jede und jeder von uns wird im Leben auf diese Grundversorgung angewiesen sein. Die Frage ist: Wollen wir ein System, in dem kranke Kinder keinen Kinderarzt finden? In dem ältere Menschen keine Spitex mehr erhalten? In dem ganze Regionen ohne Hausärzt:innen auskommen müssen?» Deshalb ruft das Bündnis Gesundheitspersonal nicht nur die Beschäftigten selbst auf, an der Kundgebung teilzunehmen, sondern auch die breite Bevölkerung, die sich um ihre Gesundheitsversorgung sorgt.
Samuel Burri, Unia
Gewerkschaft Unia 2025