Ein Plan für soziale Gerechtigkeit
«Uns bläst ein rauher Wind entgegen», hielt Unia-Präsidentin Vania Alleva zur Einführung in den Tätigkeitsbericht nüchtern fest, «aber wir können uns erfolgreich wehren». Damit verwies sie auf die abgewehrten Arbeitgeber-Angriffe auf das Rentenalter 60 im Bauhauptgewerbe sowie auf die Gesamtarbeitsverträge in der MEM-Industrie und im Gastgewerbe und der Hotellerie. Auch auf politischer Ebene habe die Unia an vorderster Front Deregulierungsvorstösse gegen das Arbeitsgesetz, Angriffe auf den Lohnschutz und die fremdenfeindliche SVP-Kündigungsinitiative zurückgeschlagen. Nach einer – durchaus auch selbstkritisch geführten – Bilanzdebatte nahmen die Delegierten den Tätigkeitsbericht schliesslich mit 192 zu 1 Stimmen an.
Strategischer Aufbau in Dienstleistungsberufen
Zentrales Geschäft des ersten Kongresstages waren die Beschlüsse zur Organisationsstrategie. Die Delegierten debattierten 18 zum Teil umstrittene Anträge. Am Schluss ergaben sich jeweils deutliche Mehrheiten für die vom Zentralvorstand vorgeschlagenen strategischen Schwerpunkte.
Die Unia will in den nächsten Jahren in denjenigen Branchen wachsen, in denen sie mit gewerkschaftlichen Kampagnen aktiv ist. Hierzu will sie ihre Mobilisierungsfähigkeit und die Netzwerke der aktiven Vertrauensleute stärken und sich gezielt in Fokusbranchen und Schlüsselbetrieben verankern.
In mehreren strategischen Handlungsfeldern Erwähnung findet die gewerkschaftliche Aufbauarbeit in den Pflegeberufen. Die Unia will in den kommenden Jahren einen konzentrierten Beitrag dazu leisten, diesen wichtigen, gewerkschaftlich aber nur sehr schwach erschlossenen Bereich mit bald einer halben Millionen Arbeitnehmenden zu organisieren. Weitere Aspekte der Organisationsstrategie betreffen die Stärkung der Mitgliederbetreuung, den Ausbau der Gesamtarbeitsverträge und die Verbesserung des Vertragsvollzugs, politische Kampagnen sowie die laufende Effizienzsteigerung des professionellen Apparates und der Unia-Arbeitslosenkasse, der grössten Arbeitslosenkasse der Schweiz.
Pandemie der sozialen Ungleichheit bekämpfen
Am Nachmittag diskutierten und verabschiedeten die Delegierten eine Resolution zur Bewältigung der Covid-Pandemie. Diese treffe die sozialen Klassen völlig unterschiedlich. Während die Reichen immer reicher würden und zum Beispiel das Vermögen der Familie Blocher 2020 um einen Drittel auf 15,5 Milliarden Franken gestiegen sei, treffe die Pandemie einfache Arbeitnehmende hart: Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit führten zu Einkommenseinbussen und unsicheren Zukunftsaussichten, was zusammen mit den Gesundheitsrisiken erheblichen Stress und psychische Belastungen bewirke. Um dem entgegenzuwirken fordert die Resolution den vollen Lohnersatz bei Kurzarbeit, allgemeinverbindliche GAV namentlich auch in den «essenziellen» Dienstleistungsberufen der Pflege, des Verkaufs und der Logistik, den Erhalt gefährdeter Arbeitsplätze in besonders betroffenen Branchen wie der Gastronomie, eine Covid-Solidaritätsabgabe für Superreiche und einen substanziellen Beitrag der Schweiz zum globalen Impfprogramm COVAX.
Schliesslich beschlossen die Delegierten den Start einer Reformdiskussion. Dies soll 17 Jahre nach der Gründung die Unia auf die Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte vorbereiten. Vania Alleva bezeichnete den unter dem Motto «Unia 2.0» stehenden Prozess als Chance: «Mehr Beteiligungsmöglichkeiten und schlankere Strukturen mit klareren Kompetenzen werden uns helfen, die Balance zwischen lebendiger Vielfalt und notwendiger Einheit zu halten.» Die Delegierten schlossen sich dieser Ansicht an und verabschiedeten einen entsprechenden Leitantrag, der die Durchführung eines ausserordentlichen Reform-Kongresses Anfang 2023 vorsieht.