Der ordentliche Kongress der Gewerkschaft Unia – er findet alle vier Jahre statt – steht unter dem Motto «Solidarisch in der Gesellschaft, stark in den Betrieben». Unia-Präsidentin Vania Alleva wies darauf hin, dass sich die 2005 gegründete Unia seit dem letzten Kongress 2012 weiter konsolidieren konnte. Sie ist in jedem Jahr gewachsen und zählte Ende 2015 über 200‘000 Mitglieder. Zudem konnte sie in verschiedenen wichtigen Gesamtarbeitsverträgen (MEM-Industrie, Gastgewerbe, Uhrenindustrie) Verbesserungen durchsetzen und Angriffe der Arbeitgeber abwehren. Dank einer grossen Mobilisierung gelang es ihr, im Bauhauptgewerbe die Rente mit 60 zu erhalten und auch bei den Maler/innen und Gipsern der Deutschschweiz ein Modell für die vorzeitige Pensionierung auszuhandeln.
Alleva wies aber auch darauf hin, dass die Bedingungen der gewerkschaftlichen Arbeit schwieriger geworden sind: Die Arbeitswelt befindet sich im Umbruch (Globalisierung, Digitalisierung) und die politische Situation hat sich verhärtet. Als Beispiele nannte sie die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative, die Aufhebung des Euromindestkurses mit verheerenden Folgen für die Industrie und den Rechtsrutsch im Parlament. Ein Teil der Arbeitgeber habe sich von der sozialpartnerschaftlichen Regelung der Arbeitsbeziehungen verabschiedet, paktiere lieber mit der SVP und stelle grundlegende Errungenschaften im Arbeitsgesetz, aber auch bei den Sozialversicherungen in Frage.
Mehr Schutz für alle statt «Inländervorrang»
Inhaltlich stand am ersten Kongresstag die Europafrage im Zentrum. Die Delegierten verabschiedeten eine Resolution, in welcher sie das kategorische Nein zu Kontingenten und neuen Diskriminierungen bei der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative bekräftigten – die Unia wird dagegen nötigenfalls das Referendum ergreifen. Gegen das weiter zunehmende Lohndumping und sich ausbreitende prekäre Arbeitsverhältnisse wie Temporärarbeit fordert die Unia einen besseren Schutz der Löhne und der Rechte aller Arbeitnehmenden. Dazu müssen die flankierenden Massnahmen verbessert und deren Lücken geschlossen werden. Ein «Inländervorrang» sei dazu keine Alternative. Die RASA-Initiative bezeichnet die Unia als «demokratiepolitisch fragwürdig und politisch falsch, weil sie ein Bekenntnis zu den bilateralen Verträgen ohne Verbesserung der flankierenden Massnahmen einfordert.»
Die Delegierten beschlossen, eine Kampagne für die Verbesserung der flankierenden Massnahmen auf Bundes- und Kantonsebene, nötigenfalls auch mit direktdemokratischen Mitteln, zu führen. Sie verabschiedeten dazu eine Reihe von konkreten Forderungen. «Ohne geregelte Beziehungen mit Europa manövriert sich die Schweiz ins Abseits. Geregelte Verhältnisse braucht es aber auch auf dem Arbeitsmarkt. Sonst wird es – wie am 9. Februar 2014 – keine Mehrheit für die Weiterführung der Personenfreizügigkeit geben», heisst es in der Resolution.
Botschaften für Bern und Brüssel
Als Gast trat Jacques de Watteville, Chef-Unterhändler der Schweiz mit der EU, am Kongress auf. Er betonte die Bedeutung der flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit. «Der Bundesrat ist bereit, dafür zu sorgen, dass die Massnahmen zur Bekämpfung von Lohndumping so effizient wie möglich umgesetzt werden», so de Watteville.Unia-Präsidentin Vania Alleva übergab de Watteville eine Flaschenpost mit zwei Botschaften: Eine für Brüssel, dass die Instrumente zum Schutz der Löhne und Arbeitsbedingungen bei den Verhandlungen mit der Schweiz nicht als Manövriermasse dienen dürfen. Und eine an Bern: Dass es nicht sein darf, dass Betriebe im Schnitt nur alle 30 Jahre auf die Einhaltung der gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen kontrolliert werden und deshalb dringend mehr Kontrollen nötig sind.
Zum Abschluss des ersten Kongresstages führen die Delegierten und Gäste heute Abend im Zentrum von Genf eine Aktion durch.