Menschen aus sozial schlechter gestellten Haushalten haben ein höheres Infektions- und Sterberisiko. Und je weniger Einkommen sie vor Corona hatten, umso grössere Einbussen erleiden sie wegen der Pandemie. Das zeigt sich in Tausenden von Beratungsgesprächen in den Sekretariaten der Unia, und das belegen inzwischen mehrere wissenschaftliche Studien auch für die Schweiz.
Besonders hart ist die Lage für jene mit einem Einkommen unter 4000 Franken: Sie haben im Schnitt einen Fünftel ihres Einkommens eingebüsst. Nicht weniger als 27 Prozent der Menschen in dieser Einkommenskategorie mussten Kurzarbeitsgeld beziehen, 8 Prozent wurden sogar arbeitslos, was im Schnitt zu einer Halbierung Ihrer Einkommen führte. Ihre Ersparnisse sind deutlich gesunken, jede und jeder Neunte musste sich verschulden, um überleben zu können.
Gesundheitsrisiken und wirtschaftliche Einbussen führen bei sozial Schwächeren auch zu grösseren psychischen Belastungen. Je länger die Krise dauert, umso sozial schlechter geht es ihnen. Bereits in der zweiten Welle letzten Herbst gaben doppelt so viele Menschen mit einem Haushaltseinkommen unter 4000 Franken an, es gehe ihnen «schlecht» oder «sehr schlecht», als in den Haushalten mit 6000 oder mehr Franken Einkommen. Angesichts der weiter unsicheren Zukunftsaussichten dürfte sich dieser Missstand weiter verschlechtert haben: allein in Gastgewerbe und Hotellerie sind zehntausende Arbeitsplätze akut gefährdet, und jeder fünfte Betrieb rechnet damit, die nächsten Monate nicht zu überleben.
Aber auch Arbeitnehmende in vermeintlich Covid-sicheren Jobs in sogenannt essenziellen Berufen leiden unter besonderen Belastungen. Als die Pandemie im Frühling vergangenen Jahres einen ersten Höhepunkt erreichte und sich die Intensivstationen füllten, leisteten die Beschäftigten in der Pflege, im Verkaufs und der Logistik ohne Murren Überstunden, damit unser Leben weitergehen konnte. Dafür ernteten sie viel Applaus. Applaus und sonst – mit Ausnahme einiger mickriger Prämien im Gesundheitswesen und im Verkauf: nichts. Auch diese vermeintlichen «Held:innen» der ersten Stunde sind Corona-Opfer, über die Arbeitgeber und Behörden lieber nicht reden wollen.
Exemplarisch für diese Situation steht DPD (Schweiz) AG. Die Fahrer:innen des französischen Logistik-Konzerns leisten in der Pandemie Ausserordentliches. Sie sind oft ein letzter Kontakt zur Aussenwelt für Menschen in Isolation und nehmen dafür erhebliche Ansteckungsrisiken in Kauf.
Von den DPD-Kund:innen erfahren sie dafür auch entsprechende Wertschätzung. Nicht aber von ihrem Arbeitgeber. Hunderte von Fahrer:innen sowie Angestellte in Büros und Depots haben in den letzten Monaten mit unseren Sekretär:innen gesprochen. Sie berichteten ihnen von 14 Stunden Tagen, von Tiefstlöhnen um 3600 oder 3800 Franken, von unbezahlten Überstunden, von Stress und Ausbeutung. Getrieben von den Vorgaben des DPD Algorithmus überbringen die Frauen und Männer im Minutentakt Pakete. Zeit für Pausen gibt es nicht. Jeder Schritt wird erfasst, nur die Arbeitszeit nicht. Fehler führen zu Lohnabzügen.
Hinter diesen Missständen steht ein beispielloses System von 80 Subunternehmen, welche im Auftrag von DPE vorwiegend migrantischer Arbeitskräfte ausbeuten. Die DPD kontrolliert die Verteilung der Pakete innerhalb der Schweiz, ohne dass DPD einen Lieferwagen besitzt oder eine/n einzige/n Fahrer:in angestellt hat. Für die Paketzustellung sind etwa 80 Subunternehmen zuständig, welche ihrerseits ca. 800 Fahrer:innen beschäftigen. Die meisten von ihnen arbeiten ausschliesslich für DPD; viele wurden wohl überhaupt erst gegründet, um für DPD auszuliefern. Kurz: Die Missachtung des Arbeitsrechts hat System.
Auch im Verkauf herrschen Tieflöhne vor. Extrem flexibilisierte Arbeitszeiten, Kleinstpensen und Arbeit auf Abruf nehmen überhand. Die Pandemie hat die Situation weiter verschärft. Wer trotz «Lockdown» weiterarbeiten konnte, musste oft weitere Verschlechterungen in Kauf nehmen. Wie wir aus Berichten beispielsweise von Bekleidungs-Verkäuferinnen wissen, wurden viele zu Zuarbeitenden des Onlinehandel degradiert: Verpackungsarbeiten im Keller sind dort die Regel, ohne Schutzmassahmen und Tageslicht auf engstem Raum, in Schichten ohne Pausen, unter ständigem Druck. Oft verbunden mit der Erwartung, dass es auch nach dem «Lockdown» im gleichen Stil weiter gehen solle.
Der Druck, solche Verschlechterungen einfach zu akzeptieren, ist immens. Schliesslich geht es denen, die in Kurzarbeit stehen, ja noch schlechter: Bei einem Bruttolohn von 4000 Franken bleiben ihnen bloss 2500 Franken netto im Portemonnaie. Das reicht einfach nirgends hin.
Druck und Stress prägen die Arbeit ebenso in den Alters- und Pflegeheimen; auch hier hat die Pandemie die Lage zusätzlich verschärft. Ausfälle wegen Krankheit oder Quarantäne erhöhen den Personalmangel – und gleichzeitig erfordern die Schutzmassnahmen mehr Zeit und Geduld. Hinzu kommt die Betreuungsarbeit, die die Pflegenden zusätzlich übernehmen mussten, da die Angehörigen keinen Zutritt mehr zu den Heimen hatten.
Covid verstärkt die bereits zuvor grassierende «Pandemie der sozialen Ungleichheit». Es droht eine tiefe soziale Spaltung. Dagegen gibt es nur eine wirksame Therapie: mehr Solidarität und soziale Gerechtigkeit. Wir fordern:
Es ist alles nur eine Frage politischen Willens. Geld für die Finanzierung des dringend nötigen sozialen Ausgleichs wäre in der Schweiz mehr als genug vorhanden. Und von guten Arbeitsbedingungen und mehr sozialer Gerechtigkeit profitieren letztlich alle.