Pflege gefährdet die Gesundheit
«Pflegeberufe werden nicht geschätzt. Wer im Büro arbeitet, kann niemanden aufgrund eines falsch verabreichten Medikamentes umbringen, verdient aber mehr als Pflegende. Wir haben wenig Freizeit und gehen psychisch und physisch kaputt.» Das sind die Worte einer Fachfrau Gesundheit. Auf die Frage, ob sie bis zur Pensionierung in der Pflege arbeiten möchte, antwortet sie: «Nein». Klingt resigniert? Es kommt noch dicker; die Frau ist erst 20 Jahre alt.
Die zitierte Frau hat an unserer Umfrage teilgenommen. Wie über 2800 Pflegende auch – davon 1194 Personen aus der Langzeitpflege, also Angestellte in Alters- und Pflegeheimen. Ihre Antworten auf unsere Fragen rund um ihren Arbeitsalltag verbildlichen, wie schwierig die Arbeitsbedingungen in der Pflege sind.
Pflege im Wandel
Mit 87 Prozent ergreifen mehrheitlich Frauen einen Pflegeberuf in Alters- und Pflegeheimen. Meist aus idealistischen Gründen. Sie sind mit Herzblut dahinter und wollen für andere da sein. Oft machen ihnen die Arbeitsbedingungen einen Strich durch die Rechnung. Doch wie kommt es zu derart schlechten Bedingungen?
Seit Jahren wandelt sich die stationäre Langzeitpflege. Mit der neuen Pflegefinanzierung hat auch die Subjektfinanzierung Einzug erhalten. Das bedeutet: Pflegeheime erhalten nur Geld, wenn ein Bett auch belegt ist. Laut Bundesamt für Statistik wurden 1156 Betriebe privatisiert und sind heute gewinnorientiert. Diese Ökonomisierung ist Teil der Probleme.
Aussteigen als Ausweg
Zurück zu unserer Umfrage. 47 Prozent der Angestellten in der Langzeitpflege sehen sich nicht bis zur Pensionierung im Beruf. Unter den Fachangestellten Gesundheit sind es sogar 52 Prozent. Aussteigen wollen insbesondere die bis zu 30-Jährigen. Das sind dramatische Aussichten, gerade für eine Branche, der es an Personal mangelt.
Pflegende leisten viel und erhalten wenig dafür. In den meisten Kantonen verdient eine Pflegehelferin zwischen 3800 und 4200 Franken brutto. Tatsächlich beträgt der durchschnittliche Beschäftigungsgrad in der Pflege 72 Prozent. Das heisst, Pflegende müssen mit 2880 Franken pro Monat auskommen. Zweitjobs erlauben viele Betriebe nicht, damit sie ihre Leute auf Abruf einplanen können. Und 100 Prozent arbeiten prästieren die meisten Pflegende schlichtweg nicht.
Ungesunde Arbeit
Die gesundheitlichen Belastungen sind mitunter ein Grund, dass viele Pflegende ihren Beruf verlassen wollen. Die Befragen gaben an:
- 70 Prozent stehen während der Arbeit unter Stress
- 86 Prozent fühlen sich müde und ausgebrannt
- 72 Prozent haben körperliche Beschwerden
Faktor Zeit, Personal und Qualität
Alles in allem ist es ein Teufelskreis. Durch fehlendes Personal leidet die Pflegequalität, es führt zu unfairen Dienstplänen, zu einer unausgeglichener Work-Life-Balance. Hier ein paar Zahlen:
- 87 Prozent haben zu wenig Zeit für die Bewohner/innen
- Für 92 Prozent leidet die Pflegequalität durch Personalmangel und Spardruck
- 66 Prozent empfinden die Dienstplanung als unausgewogen
Wir nehmen das Feedback der Pflegenden ernst, denn die Resultate sind alarmierend. Es gilt jetzt zu handeln und ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Es gibt Lösungen.
Betriebe müssen an sich arbeiten
Die Arbeitgeber und die Verbände curaviva und senesuisse müssen ein Bewusstsein für die Probleme der Pflegenden entwickeln und den sozialpartnerschaftlichen Dialog auf Heim- und Branchenebene eingehen. Was die Arbeitnehmenden brauchen sind: faire Dienstpläne, keine Jahresarbeitszeit, Löhne, die zum Leben reichen und mehr Personal.
Wir fordern zudem eine Neuordnung der Pflegefinanzierung. Diese wird nur durch eine breite politische und gesellschaftliche Diskussion erreicht. Klar ist: Die Entschädigungen für Pflegeleistungen müssen erhöht werden. Zudem müssen Pflegeheime als Ganzes entschädigt werden und nicht nur, wenn ein Bett auch belegt ist.
Ein Beitrag von Samuel Burri, Branchenverantwortlicher Pflege
Medienanfragen an Silja Kohler
Gemeinsam für gute Arbeitsbedingungen