Lerne Maurer!?
Nico Lutz: "Mein ältester Sohn hat die 8. Klasse begonnen. Kurz vor den Sommerferien war ich eingeladen zum Berufswahl-Informationsabend. Für die Herbstferien sollte er sich eine Schnupper-Lehrstelle organisieren. Bis jetzt hat er keine klare Vorstellung.
Während den Ferien beim Bergwandern hatte ich viel Zeit nachzudenken. Ich habe mich gefragt, was ich ihm empfehlen würde (sofern er mich denn fragen würde). Eigentlich möchte ich ihm vorschlagen: Mach doch eine Schnupperlehre in einem handwerklichen Beruf. Warum nicht in einer Baufirma? Als Bauarbeiter siehst du jeden Abend, was du gemacht hast. Es ist eine befriedigende Arbeit, die bleibende Werte schafft. Die Häuser, die Brücken, die Tunnel unter den Alpen – all das haben stolze Bauarbeiter gebaut. Mit viel Fachwissen, grossen Maschinen und harter körperlicher Arbeit. Gerade in einer Zeit, in der so vieles unsicher ist, in der ich mich bei der Tagesschau regelmässig frage, ob ein Teil der Welt verrückt geworden ist: Da ist ein so solides Handwerk wie Maurer doch ein sicherer Wert. Du baust die Schweiz. Also: Eine Schnupperlehre als Maurer!
Ein paar Höhenmeter weiter oben dachte ich aber auch wieder daran, mit welchen Problemen von Bauarbeitern ich als Gewerkschafter jeden Tag konfrontiert bin. Unsere Bauarbeiter haben einen harten Job. Draussen bei Hitze und Kälte. Der Termindruck ist oft brutal, die Arbeitszeiten lang, besonders wenn der Bau fertig werden muss.
Trotz guter Baukonjunktur sind die Löhne in den letzten Jahren stehen geblieben. Die Ertragslage der Baufirmen hat sich gemäss Bundesamt für Statistik verbessert, die Löhne kaum. Und das Unfallrisiko sowie die körperlichen Verschleisserscheinungen sind trotz aller Bestrebungen in den letzten Jahren nach wie vor überdurchschnittlich hoch. Daher: Wirklich eine Lehre als Bauarbeiter?
Wie viele junge Männer und hoffentlich auch junge Frauen sich für eine Lehre in einem Bauberuf entscheiden, haben wir alle in der Hand. Wenn wir dafür sorgen, dass die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen attraktiv sind, die Arbeitnehmenden für ihre harte Arbeit und die Produktivitätsfortschritte auch anständig entlöhnt werden und familienverträgliche Arbeitszeiten gelten, dann werden Junge eine Lehre auf dem Bau wählen.
Mein Sohn wird selber entscheiden. Seine Schlussfolgerung nach dem Informationsabend war, dass er sich wohl ernsthafter um seine Aufgaben kümmern müsse. Französisch-Vokabeln lernen sich nicht im Schlaf. Er möchte sich auch die Option Gymnasium offen halten. Aber wenn er mich fragt, dann werde ich ihm vorschlagen, eine Schnupperlehre auf dem Bau zu machen. Ich bin gespannt, was er mir darauf antworten wird."
Quelle: www.baublatt.ch