Die Delegiertenversammlung der Unia stand heute ganz im Zeichen einer Debatte um die Arbeits- und Lebensarbeitszeit. Die Fakten sind altbekannt. Nirgends in Europa wird so lang gearbeitet wie in der Schweiz. Im Durchschnitt arbeiten die Arbeitnehmenden heute auf ein Vollzeitpensum hochgerechnet 41,7 Stunden pro Woche; ein Wert, der seit Jahrzehnten stagniert, während gleichzeitig Arbeitsintensität und Tempo stetig zunehmen. Die Folge: Stressbedingte Krankheiten nehmen massiv zu. Die Arbeitnehmenden brennen aus, werden krank, fallen aus dem Arbeitsmarkt.
Und trotzdem schreien bürgerliche Politiker:innen und ihre Verbündeten im Parlament in Missachtung der Realitäten nach mehr und mehr Flexibilität im Arbeitsgesetz und einem höheren Rentenalter. Alles, so die gängige Argumentation, zum Wohl der Arbeitnehmenden; diese könnten neu endlich mitten in der Nacht oder auch am Sonntagnachmittag ihrem Zweit- oder Drittjob nachgehen statt von starren gesetzlichen Fessel daran gehindert zu werden. Und bis 67, 68 oder auch 70 weiterarbeiten, statt nach einem langen Arbeitsleben würdig in Rente zu gehen. Schöne neue Welt.
Diesen bürgerlichen Schalmeienklängen haben die 61 Delegierten der Unia heute eine deutliche Abfuhr erteilt. Der eindeutige Tenor: Mehr Zeit zum Leben, statt immer länger arbeiten. In einer Resolution forderten sie eine massive Reduktion der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich für die unteren und mittleren Einkommen. Eine Erhöhung des Rentenalters, die derzeit von der bürgerlichen Mehrheit durchs Parlament gepeitscht wird, wird Unia mit einem Referendum bekämpfen.
Produktivitätsgewinne, die heute in den Taschen der Unternehmer landen, sollen denjenigen nützen, die sie erwirtschaften. Berufskrankheiten werden abnehmen. Frauen aus der Teilzeitfalle befreit. Umwelt und Klima entlastet. Denn nachgewiesen ist auch: Mit gewonnener Freizeit wenden sich die Menschen zuerst ihren Nächsten und der Sorge um sich selbst zu – was widerspiegelt, wie sehr das im gegenwärtigen Arbeitszeitregime zu kurz kommt.
Die Arbeits- und Rentenfrage ist eine Generationenaufgabe; Fortschritte kamen jeweils nur gegen massiven Widerstand der bürgerlichen und wirtschaftlichen Eliten zu Stand. Die Delegierten der Unia schätzen sich deshalb glücklich, dass sich auch die feministische Bewegung und die Klimabewegung die Verkürzung der Arbeitszeit auf ihre Fahnen schreiben. Für den 9. April 2022 ist von der Allianz «Strike for Future», in der die sozialen Bewegungen mit Gewerkschaften und anderen progressiven Organisationen zusammenarbeiten, ein Aktionstag geplant, den die Unia unterstützt und an dem sie sich beteiligt.