Kantonale Mindestlöhne in Gefahr

Nach der Annahme der Motion Ettlin durch das Parlament hat der Bundesrat den Bericht über die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens zur Gesetzesänderung veröffentlicht, die eine Revision des Gesetzes über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen (AVEG) auf Kosten der kantonalen Mindestlöhne bedeutet. Unia ruft das Parlament auf, diesen zutiefst undemokratischen und unsozialen Gesetzesentwurf abzulehnen.

Hinter der Motion „Sozialpartnerschaft vor umstrittenen Eingriffen schützen“ von Ständerat Erich Ettlin verbirgt sich ein direkter Angriff auf die kantonalen Mindestlöhne, die Kompetenzen der Kantone und den Volkswillen. Motionär Ettlin fordert eine Änderung des Bundesgesetzes, welche den Mindestlöhnen, die in einem allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrag (ave GAV) vorgesehen sind, Vorrang vor kantonal eingeführten Mindestlöhnen einräumen will.

Missachtung von Würde und Gleichstellung

So würde die Umsetzung der Motion für eine grosse Zahl von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in den Kantonen Genf und Neuenburg Lohneinbussen von bis zu 1000 Franken pro Monat bedeuten. Derzeit profitieren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Coiffeurgewerbe, im Gastgewerbe, in der Reinigungsbranche und in anderen Branchen mit niedrigem Einkommen stark von den kantonalen Mindestlöhnen. Die Umsetzung der Motion Ettlin würde die Beschäftigten in diesen Branchen, welche zur Mehrheit Frauen sind, in prekäre Arbeitsverhältnisse stürzen.

Souveränität der Kantone in Frage gestellt

Eine solche Gesetzesänderung stellt die Kompetenzen in Frage, welche die Kantone aufgrund der Verfassung und des Föderalismus heute haben. Es ist Kompetenz der Kantone ihre Sozialpolitik souverän zu definieren, um Armut zu verhindern. Der Professor für Verfassungsrecht Pascal Mahon stellt sogar fest, dass «die Umsetzung der Motion Ettlin durch eine einfache Änderung eines Bundesgesetzes die verfassungsmässige Kompetenzverteilung berühren und somit die Souveränität der Kantone und den Föderalismus untergraben würde».

Ein Angriff auf die direkte Demokratie

Dieser Entwurf stellt nicht nur einen Eingriff in die kantonalen Kompetenzen dar, sondern missachtet auch den Volkswillen der Kantone, welche Mindestlöhne eingeführt haben. In mehreren Kantonen haben sich die Bürgerinnen und Bürger in Volksabstimmungen für die Einführung von Mindestlöhnen entschieden, um den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern angemessene Lebensbedingungen zu garantieren. Indem er ihre demokratischen Entscheidungen in Frage stellt, stellt dieser Gesetzesentwurf einen schweren Angriff auf einen der Grundpfeiler des politischen Systems der Schweiz dar: die direkte Demokratie.

Das Parlament muss den Föderalismus respektieren

Der Bundesrat hat den Gesetzesentwurf nun an das Parlament weitergeleitet. Unia fordert die Parlamentarier:innen auf, diesen Versuch, die kantonalen Mindestlöhne zu verhindern, entschieden abzulehnen und die Grundprinzipien der Schweizer Demokratie und des Föderalismus zu respektieren. Mindestlöhne sind keine „umstrittene Eingriffe“: Sie sind eine zentrale Massnahme, um die Würde der Arbeitnehmenden und angemessene Lebensbedingungen zu gewährleisten.

Starke und breite Opposition gegen das Projekt

Der Entwurf ist sehr umstritten, alle Kantone -mit einer Ausnahme - haben sich dagegen ausgesprochen. Sogar der Bundesrat lehnt seinen eigenen Vorschlag zur Umsetzung der Motion ab. Unia wird alle zur Verfügung stehenden Instrumente einsetzen, um die sozialen Errungenschaften zu bewahren und eine Verschlechterung der Lebensbedingungen der Arbeitnehmenden in der Schweiz zu verhindern.