Trotz Teuerung und bester Baukonjunktur ging die Hälfte der Bauarbeiter leer aus
Die Umsätze im Bauhauptgewerbe sind auf Rekordhöhe, die Auftragsbücher sind voll und die Baupreise sind gestiegen. Zudem sieht sich die Branche mit einem akuten Fachkräftemangel konfrontiert. Bereits heute fehlen tausende Fachkräfte. Bis 2040 wird das Manko bei den benötigten Maurern und Vorarbeitern auf über 30 Prozent steigen. Jede dritte Stelle bleibt also unbesetzt. Einer der Gründe dafür ist die dramatische Flucht aus der Branche. So verlässt rund jeder zweite ausgebildete Maurer die Baubranche – viele bereits wenige Jahre nach Lehrabschluss. «Lange Arbeitstage, steigender Druck, sinkende Kaufkraft. Die Zukunftsperspektiven für den schönen und stolzen Maurerberuf trüben sich zunehmend ein», bilanziert Chris Kelley, Co-Sektorleiter Bau der Gewerkschaft Unia.
Das Leben wird teurer
Lebensmittel, Mieten, Krankenkassenprämien: Auch für die Bauarbeiter wird vieles teurer. So ist das allgemeine Preisniveau heute 7 Prozent höher als Ende 2020. Dabei sind die Preise für Energie sogar um 60 Prozent gestiegen, diejenigen für Treibstoff um 30 Prozent. Die Krankenkassenprämien nahmen zudem allein seit 2022 um ganze 15 Prozent zu. Und schliesslich erhöhten sich die Mieten in den letzten zwölf Monaten, zwischen April 2023 und April 2024, um fast 3 Prozent. «Am Ende des Monats bleibt im Portemonnaie der Bauarbeiter immer weniger übrig. Generelle Lohnerhöhungen für alle sind nötiger denn je», betont Guido Schluep, Co-Branchenleiter Bau der Gewerkschaft Syna.
In praktisch allen Branchen gab es deshalb auch generelle Lohnerhöhungen, die teilweise deutlich über der Teuerung lagen. Nur in einer Branche nicht: dem Bauhauptgewerbe. Hier hat der Baumeisterverband eine generelle Lohnerhöhung kategorisch verweigert und die Verhandlungen im letzten Herbst abgebrochen.
Erschreckende Ergebnisse der Lohnumfrage
Die Gewerkschaften Unia und Syna haben in den vergangenen Wochen eine breite Umfrage auf den Baustellen gemacht. «Das Resultat ist erschreckend: 48 Prozent der Bauarbeiter haben keinen einzigen Franken Lohnerhöhung erhalten. Sie erleiden dieses Jahr eine Reallohnsenkung von über 2 Prozent. Mehr als 90 Prozent der Bauarbeiter haben – bezogen auf den Durchschnittslohn – weniger als die Teuerung erhalten. Nur wenige haben eine moderate Reallohnerhöhung bekommen», fasst Nico Lutz, Sektorleiter Bau der Gewerkschaft Unia, das Ergebnis der Umfrage zusammen (s. Grafik).
Betrachtet man die Unternehmen, dann gewährten 73 Prozent der Firmen (inklusive Subunternehmer und Temporärfirmen) keine Lohnerhöhung, bei 18 Prozent gab es nur individuelle Lohnerhöhungen, bei 2 Prozent nur generelle Lohnerhöhungen und bei 7 Prozent der Firmen sowohl individuelle wie auch generelle Lohnerhöhungen.
«Mit seiner Politik schadet der Baumeisterverband auch den korrekten Firmen, die Lohnerhöhungen gewähren», so Nico Lutz. Ohne generelle Lohnerhöhungen steigen die Lohnkosten nur für diese Firmen. Andere Firmen, welche die Löhne drücken, verschaffen sich damit Marktvorteile. Gerade weil der Baumeisterverband regelmässig die tiefen Margen im Baugewerbe betont, müsste es in seinem Interesse sein, generelle Lohnerhöhungen zu vereinbaren.
Der Reallohnrückgang ist umso dramatischer, weil bereits im gesamten Zeitraum zwischen 2016 und 2022 die Löhne zurückgingen. Das zeigt eine Spezialauswertung der am 12. März 2024 vom Bundesamt für Statistik veröffentlichen Daten der Lohnstrukturerhebung 2022. «Trotz harter Arbeit und grossem Einsatz verdienen die meisten Bauarbeiter heute real weniger als vor 2016. Sinkende Löhne für einen der härtesten Jobs in der Schweiz – das versteht niemand. Kein Wunder sind die Bauarbeiter enttäuscht und wütend.», fasst Nico Lutz zusammen.
Im Herbst 2024 braucht es generelle Lohnerhöhungen
Das Bauhauptgewerbe zeichnet sich im Vergleich zu anderen Berufen auch durch eine unterdurchschnittliche Lohnentwicklung aus. Der Baumeisterverband weist zwar regelmässig auf die höheren Einstiegslöhne hin. Aber er verschweigt, dass die Löhne im Bauhauptgewerbe mit den Berufsjahren weniger steigen und so ab dem Alter von 45 Jahren für Bauberufe unterdurchschnittlich sind. Auch aus diesem Grund fordert Simon Constantin, Mitglied der Sektorleitung Bau der Unia, an der Medienkonferenz: «In den Lohnverhandlungen im Herbst 2024 braucht es eine Lohnerhöhung für alle. Sie muss mehr als die Teuerung betragen und auch dem Lohnrückstand der letzten Jahre Rechnung tragen.» Die exakte Lohnforderung werden die Basismitglieder der Gewerkschaften im Juni 2024 festlegen, sobald eine konsolidierte Teuerungsprognose für 2024 vorliegt.