Wegweiser zur Bewältigung der Versorgungskrise in der Langzeitpflege

Die Versorgungskrise in der Langzeitpflege hat sich dramatisch zugespitzt. Die demografische Entwicklung führt zu einer steigenden Nachfrage nach Pflege im Alter, während immer mehr Pflegestellen aufgrund von Personalengpässen unbesetzt bleiben. An der heutigen Fachtagung der Unia in Olten diskutierten über 80 Teilnehmende aus der Pflege, Wissenschaft, Politik sowie Direktbetroffene Strategien, um diese Krise zu überwinden. Das Ergebnis ist ein «Manifest für gute Pflege» im Alter, das eine Perspektive für eine menschenwürdige und ganzheitliche Langzeitpflege entwirft.

Ein entscheidender Faktor für die Versorgungskrise ist die hohe Berufsausstiegsrate unter Pflegenden in Heimen. Ein Forschungsprojekt der Fachhochschule Südschweiz (SUPSI) hat gezeigt, dass die Arbeitsorganisation in der Pflege eine zentrale Rolle spielt. Aufgrund der Unterfinanzierung ist die Pflege eng getaktet, wodurch für die so wichtige Beziehungsarbeit zu wenig Zeit bleibt. Pflegende können ihren eigenen Ansprüchen an eine gute Pflege nicht gerecht werden und verlassen deshalb die Branche.

Das Manifest für gute Pflege: Ein Wegweiser für die Zukunft

Auf Basis dieser Erkenntnisse entstand in einem partizipativen Prozess das Manifest für gute Pflege im Alter. Dieses Manifest skizziert eine Perspektive für eine menschenwürdige und ganzheitliche Langzeitpflege, die die Bedürfnisse der Betroffenen in den Mittelpunkt stellt und die Ethik der Pflegenden wahrt. «Dazu müssen insbesondere die Pflegenden selbst in die Diskussion um die Arbeitsorganisation mit einbezogen werden. Denn die Beschäftigten verfügen über die beste Expertise über die Bedürfnisse ihrer Bewohner:innen», so Nicolas Pons-Vignon, Professor an der SUPSI. Die Teilnehmenden der Fachtagung diskutierten den Text intensiv, brachten letzte Änderungen ein und verabschiedeten das Manifest einstimmig.

Notwendige Rahmenbedingungen

Die Versorgungskrise lässt sich nicht allein durch eine Stärkung der Pflege lösen. Wie Professor Carlo Knöpfel von der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) in seiner Forschung darlegte, werden Alltagsunterstützung und Betreuung für Senior:innen immer wichtiger. Ambulante Unterstützungsangebote, kombiniert mit Spitex-Pflege, könnten Heimeintritte verzögern und damit den Druck auf das Pflegepersonal verringern. Der Gesundheitsökonom Heinz Locher unterstrich, dass es für diese Lösungen auch angepasste politische Rahmenbedingungen braucht. Der pensionierte Pflegefachmann Bruno Facci wies zudem auf die enormen Belastungen pflegender Angehöriger hin, die die Versorgungslücke oft ausgleichen müssen.

Politische und gesellschaftliche Perspektiven

Farah Rumy, Nationalrätin und Pflegefachexpertin (SP SO) und Enrico Borelli, Co-Branchenverantwortlicher Pflege Unia, beleuchteten die politischen und gewerkschaftlichen Perspektiven, die sich aus dieser Krise ergeben. «Die Gewerkschaft kann und muss eine aktive Rolle beim Bau von Brücken in der Gesellschaft spielen, und versuchen, eine Reihe von Akteur:innen in einer gemeinsamen Vision zu vereinen», so Borelli. Zum Abschluss der Veranstaltung diskutierten Samuel Burri (Unia), Dario Mordasini (aktiver Gewerkschaftsrentner), Ruth Schmied (SP 60+), Reto Wyss (Zentralsekretär Schweizerischer Gewerkschaftsbund) und Cristiana Pires (Sozialarbeiterin in einem Pflegeheim) die nächsten Schritte. Dario Mordasini von den Unia-Rentner:innen betonte: «Ich bin überzeugt, dass sich die Rentner:innen für eine gute Pflege einsetzen müssen und auch wollen.» Einig waren sich alle: Die Versorgungskrise ist eine der grössten sozialen Herausforderungen unserer Zeit und kann nur gemeinsam bewältigt werden.

Aufruf zur öffentlichen Diskussion und gesellschaftlichen Verantwortung

Das «Manifest für gute Pflege» soll nun in die breite Öffentlichkeit getragen werden. Gute Unterstützung, Betreuung und Pflege für betagte Menschen müssen als öffentliche Aufgabe anerkannt, organisiert und finanziert werden. Wer die Versorgungskrise ignoriert, nimmt noch höhere gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Kosten in Kauf. Die teilnehmenden Organisationen verpflichten sich, das Manifest in den kommenden Monaten in die Kantone zu tragen und dort gemeinsam mit der Bevölkerung und der Politik für eine faire Finanzierung und sichere Versorgung mit guten Arbeitsbedingungen zu kämpfen.