Preisvergabe für hervorragende Arbeitsforschung

Dr. Sarah Baumann und Luc Ruffieux mit je einem Blumenstrauss und Vania Alleva in der Mitte
Preisverleihung an die Historikerin Dr. Sarah Baumann und an den Wirtschaftshistoriker Luc Ruffieux durch die Unia-Präsidentin und Laudatorin Vania Alleva.
Zum dritten Mal wurden Unia-Preise für «Arbeitssoziologie, Industrielle Beziehungen und Gewerkschaftsforschung» vergeben. Ausgezeichnet mit dem Hauptpreis wurde Sarah Baumann für ihre historische Dissertation. Der Nachwuchspreis ging an Luc Ruffieux für seine Masterarbeit in Wirtschaftsgeschichte. Die Preisverleihung fand im Rahmen einer wissenschaftlichen Tagung an der Universität Zürich statt.

Sarah Baumann erhält den Hauptpreis für ihre zeitgeschichtliche Dissertation zur Geschichte der sexuellen Arbeit von Frauen im Zeitraum zwischen den 1950er und den 1980er Jahren im urbanen Raum der Schweiz. Sie ist an der Universität Freiburg entstanden und trägt den Titel «Prekäre Liberalisierung. Sexuelle Arbeit von Frauen in Schweizer Städten». Geografisch liegt der Fokus vor allem auf den Städten Zürich und Genf.

Prekäre Liberalisierung: Sexuelle Arbeit von Frauen

Die Studie widmet sich Arbeitsformen, die oft im Versteckten ausgeübt werden. Unter dem Begriff Arbeit verstand und versteht unsere Gesellschaft im Allgemeinen Arbeit, die gesetzlich und vertraglich reguliert und gesellschaftlich wertgeschätzt ist. In diesem Sinne wurd die sexuelle Arbeit von Frauen oft vom Begriff Arbeit abgespalten und nicht als reguläre Arbeit anerkannt. 

Die Dissertation von Sarah Baumann verarbeitet neben Gerichtsakten, Parlamentsprotokollen ebenso Autobiografien, Interviews mit ehemaligen Sexarbeiterinnen sowie audiovisuelles Material. Dank dieser Quellenvielfalt werden der Wandel der öffentlichen Bewertung, der rechtlichen Normen und der behördlichen Verwaltung von Sexarbeit ebenso deutlich nachvollziehbar wie die konkreten Arbeits- und Lebenserfahrungen von Sexarbeiterinnen.

Sexuelle Liberalisierung und Kommerzialisierung

Dabei beleuchtet die Autorin, wie Liberalisierung und Kommerzialisierung im Bereich der Sexarbeit ineinandergreifen. Sarah Baumann führt anhand von Fallbeispielen und Interviews mit Betroffen vor, dass die «sexuelle Befreiung» nach 1968 nicht automatisch die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Sexarbeiterinnen verbesserte. Ganz im Gegenteil blieb die Tabuisierung der Sexarbeit bestehen und der finzanielle Druck wurde grösser. Dadurch kam es zu Verschlechterungen der Situation der Sexarbeiterinnen und einer weiteren Prekarisierung. Eine doppelte Entwicklung, die im Titel der Studie prägnant als «prekäre Liberalisierung» bezeichnet wird.

Kampf für die Rechte der Sexarbeiterinnen

Sarah Baumann zeichnet die Sexarbeit als ein vielschichtiges Geflecht aus Beziehungen, Bindungen und Abhängigkeiten, das von Liebe und Zuneigung ebenso geprägt ist wie von Gewalt, Ausbeutung und einer immer hemmungsloseren Profitabschöpfung. Wie Vania Alleva in ihrer Laudatio hervorhebt, macht die Autorin deutlich, dass der Kampf für die Rechte der Sexarbeiterinnen bei ihrer Anerkennung als Arbeiterinnen beginnt. Die Frage, ob diese Arbeit gut oder schlecht sei, kann nicht der Ausgangspunkt und ihre Beantwortung auch nicht das Ziel einer fortschrittlichen Politik sein. Diese muss vielmehr die Autonomie der Arbeiterinnen, ihre Handlungsmacht und die Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen ins Zentrum stellen.

Nachwuchspreis zum Thema Automatisierung

Der Nachwuchspreis geht an den Historiker Luc Ruffieux von der Universität Zürich. Ausgezeichnet wird seine Masterarbeit mit dem Titel: „Hin zur produktiven Einheit zwischen Arbeit und Technik – der Schweizerische Metall- und Uhrenarbeitnehmerverband SMUV und die Automatisierung in den 1980er-Jahren“. Im Zentrum dieser Arbeit steht die Frage, wie die Gewerkschaft SMUV – sie war eine Vorläuferin der Gewerkschaft Unia – mit der Automatisierung umging, die in den 1980er Jahren in der Maschinenindustrie rasch voranschritt. Auf der Grundlage eines grossen Quellenbestandes zeichnet Luc Ruffieux das Bild einer Gewerkschaft, welche auf die Herausforderungen einer neuen Technologie keine Antworten findet. Der SMUV unterschätzte einerseits die tiefgreifenden Auswirkungen der neuen Technologie auf die Arbeitswelt. Andererseits war er nur sehr beschränkt bereit, die kritischen Stimmen und Erfahrungen der Basis wahrzunehmen und diese in eine sinnvolle gewerkschaftliche Strategie umzumünzen.

Aus der Vergangenheit lernen

In ihrer Würdigung betonnt Vania Alleva, dass die Frage, wie Gewerkschaften Strategien zur Bewältigung von technologischem Wandel entwickeln, um die Interessen ihrer Mitglieder in Zeiten tiefgreifender Veränderungen zu wahren, aktuell wieder von hoher Relevanz ist.

Die Untersuchung von Luc Ruffieux trägt im Hinblick auf die Debatten über Digitalisierung und KI zur Versachlichung bei und ist zugleich Inspiration für eine mutige gewerkschaftliche Technologiepolitik. Das ist wichtig, denn technischer Fortschritt kann nur dann Fortschritt sein, wenn er sozial gerecht gestaltet wird. Technologische Umbrüche waren und sind immer auch Schauplätze sozialer Kämpfe um gerechte Arbeitsbedingungen, um Teilhabe an der technischen Entwicklung und um die Sicherheit aller Beschäftigten. Die Geschichte zeigt, wie schwer dieser Kampf sein kann – und wie wichtig es ist, ihn zu führen.

Arbeit und soziale Gerechtigkeit: Herausforderungen und Chancen im digitalen Zeitalter

Die Preisverleihung erfolgt im Rahmen der Tagung «Work and Social Justice: Challenges and Opportunities in the Digital Age», die der Verein Laboris (Netzwerk Arbeitsforschung Schweiz) und der Forschungsverbund «work» der Digital Society Initiative gemeinsam am 13. Dezember in Zürich durchführten.

Die Preise wurden von der Gewerkschaft Unia gestiftet. Verantwortlich für die Durchführung des Preisausschreibens waren Oliver Nachtwey (Universität Basel) und Alessandro Pelizzari (HETSL, Lausanne). In der sechsköpfigen Jury vertreten waren Brigitta Bernet (Unia), Roland Erne (University College, Dublin), Jacqueline Kalbermatter (Universität Basel), Alessandro Pelizzari (HETSL, Lausanne), Sebastian Schief und Sarah Schilliger (Universität Bern).