Der Direktor des Baumeisterverbandes, Bernhard Salzmann, führt in seiner Kolumne vom 16. September 2023 aus, es brauche im Landesmantelvertrag «flexiblere» Arbeitszeiten, damit «private Interessen und der Beruf einfacher miteinander in Einklang» gebracht werden können. Die heutige Arbeitszeitregelung erschwere zudem den Arbeitsunterbruch bei Kälte im Winter und Hitze im Sommer und verhindere, dass Bauarbeiter sich bei der Kinderbetreuung mehr engagieren können.
Wenn das so wäre, dann befürworteten auch die Gewerkschaften eine andere Regelung der Arbeitszeit. Nur: Die Ausführungen von Herrn Salzmann gehören in die Kategorie Märchenstunde.
Die heutige Arbeitszeitregelung ermöglicht bereits, was Herr Salzmann möchte. Die Bauarbeiter haben ein Überstundenkonto, auf das die Firmen bis zu hundert Stunden übertragen können, und diese können auch bei kurzfristigen Ausfällen genutzt werden.
Es geht bei den aktuell eskalierenden Verhandlungen zwischen dem Baumeisterverband und den Gewerkschaften um ganz andere Fragen. Das Arbeitszeitsystem heute ermöglicht überlange Arbeitstage von bis zu 9,6 Stunden harter körperlicher Arbeit auf der Baustelle – ohne Zuschläge.
Insbesondere im Sommer, bei grosser Hitze, leidet die Gesundheit brutal. Hinzu kommen oft mehrere Stunden Reisezeit von der Baufirma auf die Baustelle, die aktuell nicht zur Arbeitszeit zählt und nur teilweise bezahlt wird.
Das Resultat: Die Bauarbeiter verlassen morgens das Haus, wenn ihre Kinder noch schlafen und kehren abends todmüde heim, wenn die Kinder wieder ins Bett müssen. Solche Arbeitszeiten wünscht sich niemand. Diese sind mit ein Grund, dass im schönen Bauberuf so viel qualifiziertes Personal fehlt.
Die Bauarbeiter wollen daher die überlangen Arbeitstage im Sommer verkürzen und klare Schranken im neuen Landesmantelvertrag.
Der Baumeisterverband will das Gegenteil: keine verbindliche Arbeitsplanung übers Jahr mehr, bis zu 12 Stunden Arbeits- und Reisezeit pro Tag und bis zu 58 Stunden pro Woche.
Damit soll noch mehr Arbeitszeit in den Sommermonaten konzentriert werden, und selbst bei diesen extremlangen Arbeitstagen bekämen die Bauarbeiter im Verlauf des Jahres nicht eine Überstunde ausbezahlt.
Keine Frage: Es kann mal sein, dass es auf einer Baustelle drängt. Die Bauarbeiter sind dann auch bereit, länger zu arbeiten. Das ist heute problemlos möglich.
Aber das Arbeitszeitsystem darauf auszulegen, dass gesundheitsschädigende Arbeitstage zum Normalfall werden können, ist schlicht unverantwortlich. Das treibt die Bauarbeiter zu Tausenden auf die Strasse.
Im Moment liegen die Positionen in den Verhandlungen sehr weit auseinander. Ob es bis Ende Jahr eine Einigung gibt, ist ungewiss. Der Baumeisterverband und die Gewerkschaften betonen beide, dass sie einen neuen Vertrag wollen.
Dafür braucht es eine nüchterne Diskussion und reale Verhandlungen über Anpassungen am aktuellen System. Märchenstunden helfen da nicht weiter.