Zeit für Lohnerhöhungen und Lohngleichheit
«Corona-Krise! » – so jammern die Arbeitgeberverbände dieses Jahr, wenn es darum geht, die Lohnforderungen der Arbeitnehmenden abzuwehren. Doch Tatsache ist: Mit den Lockerungen der gesundheitspolitischen Massnahmen erfuhr die Wirtschaft eine kräftige Erholung, wie Unia-Präsidentin Vania Alleva an einer Medienkonferenz in Bern ausführte.
Effektiv rechnet das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco für dieses Jahr mit einem überdurchschnittlichen Wachstum des BIP von 3.6%. Aller Voraussicht nach wird das BIP in der zweiten Hälfte des Jahres über Vorkrisenniveau steigen und parallel werden auch Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit weiter zurückgehen. Die Teuerung dreht vom Negativen ins Positive (Prognose für die Verhandlungsmonate 2021: 1%). Und auch die Aussichten für 2022 sind gut.
Zusammengefasst, so Vania Alleva, stecke die Schweizer Wirtschaft also mitten in der Erholung. Nach einem äusserst schwierigen Jahr für die Schweizer Arbeitnehmenden müssten diese deshalb vom wirtschaftlichen Aufschwung profitieren. Lohnerhöhungen seien unabdingbar.
Steigende Umsätze und volle Auftragsbücher auf dem Bau
Die Baukonjunktur hat sich nach einem kurzen Taucher zu Beginn der Pandemie bestens erholt und bewegt sich inzwischen wieder auf Höchstniveau. Die Ende August vom Schweizerischen Baumeisterverband publizierten Konjunkturerhebungen zeigen: Nicht nur stiegen die Umsätze im Hoch- und Tiefbau – um 1.7% gegenüber dem Vorquartal – sondern auch die Auftragsbücher sind prall gefüllt und die Anzahl der neuen Baugesuche hat ein Rekordhoch erreicht. «Die Bauarbeiter,» führte Alleva aus, «haben deshalb dieses Jahr eine Lohnerhöhung verdient und sie ist auch wirtschaftlich absolut möglich.» Unia fordert eine generelle Lohnerhöhung von 100 Franken im Bauhauptgewerbe.
Parallel zum Bauhauptgewerbe sind auch die Auftragsbücher im Ausbaugewerbe voll, die Aussichten gut. Die Energiestrategie 2050 des Bundes wirkt in denjenigen Branchen, die an der Gebäudehülle tätig sind, als zusätzlicher Impuls. Weniger positiv seien die Folgen der hohen Auslastung für die Arbeitnehmenden, so Alleva. Es häufen sich Überstunden und Stress; die Löhne hingegen hätten mit der Entwicklung der Branche nicht Schritt gehalten.
Der Nachholbedarf sei gross; insbesondere da auch die Aussichten für 2022 für das Ausbaugewerbe hervorragend sind: Die Unia fordert darum in den Branchen des Ausbaugewerbes eine generelle Erhöhung der Reallöhne um 2%, eine Erhöhung der Mindestlöhne und ein Anheben der tiefsten Mindestlöhne über 4000 Franken.
Detailhandel gehört zu den Gewinnern der Krise
Der Detailhandel kommt gestärkt aus der Krise. Die Lebensmittelumsätze sind hoch, der Non-Food-Umsatz hat sich stabilisiert. Besonders profitiert haben der Online-Handel und die Fachmärkte für Elektronik; doch nicht nur sie steigerten Umsätze und Gewinne, sondern der Branche geht es insgesamt gut.
Der Erfolg komme nicht von ungefähr: Die Arbeitsproduktivität im Detailhandel hätte so stark zugenommen wie noch nie in den letzten 5 Jahren; der Nachholbedarf bei den Löhnen entsprechend gross. Der Detailhandel ist eine Tieflohnbranche, zwei Drittel der Arbeitnehmenden sind weiblich, es dominieren Teilzeit und vielfach Löhne unter 4000 Franken auf eine Vollzeitanstellung. «Das ist einfach viel zu wenig», hielt Alleva fest. Unia fordert eine Erhöhung der Reallöhne um 2% und ein Anheben aller Löhne und Mindestlöhne über 4000 Franken.
Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern bekämpfen
Die Lohnstrukturerhebung deckt die Probleme bei der Lohngleichheit schonungslos auf: Statt kleiner wird der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen derzeit grösser. Laut den neusten Daten verdienen Frauen im Privatsektor bis heute durchschnittlich 19.6% weniger als Männer. Der unerklärte Anteil der Lohnunterschiede wuchs auf 44.3%.
Unia fordert einerseits in den Lohnverhandlungen spezifische Lohnmassnahmen für Frauen und andererseits eine Ausweitung der im Gesetz verankerten Lohngleichheitsanalyse auf alle Unternehmen – Lohngleichheit muss in allen Unternehmen umgesetzt werden, nicht nur in denjenigen mit mehr als 100 Beschäftigen.