Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit sind ein Grundrecht
Von 31. Mai bis 11. Juni 2022 fand in Genf die 110. Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) statt und erzielte einen wichtigen Durchbruch: Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit sind nun das fünfte Grundprinzip von menschwürdiger Arbeit. Bis anhin kannte die ILO vier Grundprinzipien:
- Vereinigungsfreiheit
- Recht auf Kollektivverhandlungen
- Verbote der Zwangsarbeit und der Kinderarbeit
- Diskriminierung im Beruf
- neu: Recht auf sicheres und gesundes Arbeitsumfeld
Die Unia war mit zwei Delegierten in der Arbeitnehmendendelegation vertreten, die vom SGB geleitet wurde.
Pandemie machte Handlungsbedarf deutlich
Die COVID-19-Pandemie hat es gezeigt: An vielen Arbeitsplätzen weltweit gibt es bei Sicherheit und Gesundheitsschutz einen grossen Handlungsbedarf. Jetzt gilt das fünfte Grundprinzip als Leitlinie und Handlungsvorgabe für die zukünftige Arbeit der ILO und ihrer Mitgliederstaaten. Damit werden automatisch die dazugehörigen Übereinkommen 155 und 187 zu Kernarbeitsnormen. Die Schweiz hat diese Konventionen bisher nicht ratifiziert.
Die Übereinkommen 155 und 187
Das Übereinkommen 155 bezweckt, das Verhüten von Arbeitsunfällen und Gesundheitsschäden mit einer kohärenten Politik anzugehen. Diese muss in den Gesetzen umgesetzt und angemessen kontrolliert werden. Das Übereinkommen 155 legt das Recht fest, die Arbeit einzustellen, wenn am Arbeitsplatz Gefahr droht. Dieses Prinzip ist zwar in der Sicherheitscharta der Suva und der Sozialpartner als «Recht, Stopp zu sagen» festgehalten, im Schweizer Arbeitsrecht ist es jedoch nicht direkt verankert.
Das Übereinkommen 187 richtet sich ausschliesslich an die staatliche Ebene. Einerseits muss der Staat den Arbeits- und Gesundheitsschutz kontinuierlich verbessern und weiterentwickeln. Andererseits die Prävention fördern und arbeitsbedingte Risiken und Gefahren stetig minimieren.
Wichtig sind die neuen Kernarbeitsnormen für künftige Handels- und Investitionsabkommen. In Zukunft schliesst jedes Handelsabkommen, das auf die ILO-Erklärung zu den fundamentalen Arbeitsrechten Bezug nimmt, automatisch die Übereinkommen 155 und 187 mit ein. Dies muss nun auch für die Abkommen gelten, welche die Schweiz bilateral oder im Rahmen der EFTA aushandelt.
Schlussfolgerungen der Unia
- Die Schweiz soll nun rasch die ILO-Übereinkommen 155 und 187 ratifizieren und damit deutlich machen, dass sie dem Recht auf eine sichere und gesunde Arbeitsumgebung Priorität einräumt.
- Eine kohärente Politik in der Arbeitssicherheit und im Gesundheitsschutz muss insbesondere auch die stressbedingten Erkrankungen umfassen, die nicht unter das Unfallversicherungsgesetz fallen.
- Arbeitgeber sind für das Gewährleisten eines sicheren und gesunden Arbeitsumfeldes verantwortlich. Sie sind gefordert, das Grundrecht und die Bestimmungen der Konventionen umzusetzen und die Arbeitsumgebung entsprechend gestalten.
- Das Umsetzen der notwendigen Arbeitssicherheits- und Gesundheitsschutzmassnahmen muss kontrolliert werden. Die Gewerkschaften fordern diesbezüglich deutlich mehr Arbeits- und Suva-Inspektorinnen und -Inspektoren.
- Das «Recht, Stopp zu sagen» und die Arbeit einzustellen, wenn Gefahr droht, soll in der Schweizer Gesetzgebung verankert werden.
- Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz als fundamentale Arbeitsrechte müssen künftig in alle internationalen Handelsabkommen integriert sein, die die Schweiz abschliesst. Die bestehenden Handelsabkommen sollen nachgebessert werden.