Die Arbeitsbedingungen in der Pflege sind prekär und dies nicht erst seit der Corona-Pandemie. Dies belegen zwei Umfragen, die die Unia 2018/2019 durchgeführt hat. Wir haben die wichtigsten Resultate zusammengestellt.
Pflegeberufe sind für unsere Gesellschaft essenziell. Ohne die Menschen, die sich jeden Tag um Kranke und Betagte kümmern, würde alles zusammenbrechen. Die Bevölkerung erkannte das im Jahr 2020 während der Corona-Pandemie und feierte ihre Held:innen aus der Pflege mit Applaus und Danksagungen. Zu Recht wie sich zeigt: Die Pflegenden gingen während der Pandemie weit über ihre Grenzen hinaus. Denn wie zwei Unia-Umfragen zeigen, waren die Arbeitsbedingungen in Alters- und Pflegeheimen schon vorher prekär.
Die Pflegenden arbeiten regelmässig unter Stress und Zeitdruck. Sie können nicht über ihr Arbeitstempo bestimmen (69 Prozent). 53 Prozent leisten oft Überstunden, die sie nicht aufschreiben können (früher kommen, später gehen).
Durch die neue Pflegefinanzierung wurden standardisierte Zeitvorgaben für alle pflegerischen Leistungen eingeführt. Die damit einhergehende dichte Pflegeplanung wirkt sich negativ auf das Stressempfinden der Pflegenden aus. Das Arbeitstempo und die Intensität der Arbeit sind nur in wenigen Betrieben durch die Pflegenden selbst beeinflussbar. Sie nehmen die Pflege oft als Arbeit am Fliessband wahr, was nebst gesundheitlichen Folgen zu einer Unzufriedenheit mit der eigenen Pflege führt. Viele Pflegende erwähnen beispielsweise, dass sie selbst nicht so Pflegen können, wie sie dies eigentlich gelernt hätten oder sich wünschen. Diese Divergenz schlägt sich auch in den Umfrageergebnissen nieder. Für 92 Prozent der Pflegenden leidet die Pflegequalität durch Personalmangel und Spardruck.
«Wir haben ein knappes warm/satt/sauber System, keine Zeit zum gut Pflegen, viele Stürze und die Bewohner sind zu oft zu lange allein. Die Grundpflege kann man nur oberflächlich machen. Fast nie haben wir Zeit für Spaziergänge, Betreuung, etc.», so eine 62-jährige Pflegeassistentin.
67 Prozent der Pflegenden haben neben der Arbeit zu wenig Zeit für ihre Freizeit und Familie. Die Mehrheit empfindet die Dienstpläne als unausgewogen und leistet viele geteilte Dienste pro Monat. Letzteres insbesondere das Assistenzpersonal. Nur bei 20 Prozent wird die gesetzliche Ruhezeit eingehalten.
Eine 20-jährige Pflegefachfrau berichtet: «Die geteilte Dienste sind sehr belastend, jeder findet diese am schlimmsten. Man kann sich in den 4 bis 5 Stunden Pausen nicht wirklich ausruhen, da man weiss: der Tag ist nicht zu Ende, ich muss nochmals arbeiten gehen. Ich sehe, dass vor allem Pflegeassistentinnen sehr viele geteilte Dienste haben.» Die Alters- und Pflegeheime streben aufgrund der neuen Pflegefinanzierung einen möglichst effizienten Einsatz des bestehenden Pflegepersonals an. Über den einzelnen Tag hinweg gibt es zwei Spitzen: vormittags und gegen Abend, also beim Aufstehen und zu Bett gehen. Dies führt dazu, dass die Betriebe auch zu diesen Zeiten das Personal einsetzen und die Schichtsysteme entsprechend gestalten. Viele Pflegende finden die geteilten Dienste problematisch für die körperliche Belastung, aber auch für das Sozial- und Familienleben. Sie gehen zwar sehr früh aus dem Haus, kommen aber erst Spätabends wieder nach Hause.
Problematisch sind auch die häufigen und oftmals schlecht geplanten Wechsel zwischen den einzelnen Diensten. Häufige Wechsel zwischen Frühdienst, Spätdienst, geteilten Diensten und freien Tagen gehören für die Pflegenden zur Normalität. So haben Pflegende, die 80 Prozent und mehr arbeiten, nur selten zwei Tage am Stück frei. Die einzige gesetzliche Regelung: alle haben Anrecht auf zwölf freie Sonntage im Jahr. Zur Frage, ob es mehr als ein Ruhetag am Stück braucht, gibt es keine Vorgaben. Betreffend Ruhezeiten sieht das Arbeitsgesetz grundsätzlich zwar eine Mindestruhezeit von elf Stunden zwischen zwei Schichten vor. Pflegeheime dürfen diese jedoch mehrmals pro Woche auf neun Stunden reduzieren, was sie offensichtlich auch ausnutzen.
Eine 28-jährige Pflegefachfrau erzählt: «Mit einem Arbeitspensum von 100 Prozent bleibt das Privatleben oft auf der Strecke. Das liegt auch daran, dass ca. 3 von 4 Wochenenden gearbeitet wird und man nur kurze Erholungspausen hat (meistens 1 Tag, selten 2, fast unmöglich mal 3 Tage am Stück frei). Dazu kommen die verschiedenen Schichtdienste und schnellen Wechsel, die belasten einem teilweise physisch und psychisch.»
Häufige Planänderungen, in der Freizeit erreichbar und abrufbar sein belastet die Mehrheit der Pflegenden. Auch Überstunden sind ein Problem.
«Durch das viele Einspringen und die stark belastende Arbeit findet man privat kaum die Zeit und Kraft, sich auf Hobbys, Familie etc. zu konzentrieren. Dadurch leidet das Privatleben stark.», so eine 21-jährige Pflegefachfrau.
Zusätzlich zu den schwierigen Arbeitszeiten und problematischen Schichtsystemen sind die Pflegenden auch mit häufigen Planänderungen konfrontiert. Diese werden oftmals kurzfristig telefonisch kommuniziert, was die Work-Life-Balance empfindlich stört. Diese Flexibilität wird absichtlich eingeplant und ergibt sich nicht nur zufällig. Viele Betriebe in der Langzeitpflege arbeiten mit Jahresarbeitszeitmodellen. Dies ermöglicht dem Arbeitgeber den Personalbestand, trotz Festanstellung und Monatslohn, flexibel an die Bettenauslastung und an kurzfristige Personalausfälle anzupassen.
In verschiedenen Heimen werden die Pflegenden beispielsweise selbst am Tag des Ablebens einer Bewohnerin oder eines Bewohners früher nach Hause geschickt, um die durch den Tod entstandenen Einnahmeausfälle zu kompensieren. Dadurch wird auch eine gesundheitlich sinnvolle Kompensation der Überstunden verunmöglicht, da sie nur als einzelne Stunden kompensiert werden können. Auf der anderen Seite planen die Heime absichtlich Minusstunden, um die Pflegenden bei Bedarf kurzfristig abrufen zu können und sie damit einer Bringschuld auszusetzen.
Wenig Geld für viel Arbeit. Das ist in der Pflege Realität. Viele Pflegende arbeiten Teilzeit, was den Verdienst noch schmälert. Hingegen bedeutet eine Vollzeitstelle eine sehr hohe Belastung.
Bedenkt man, welche Ausbildungen hinter Pflegeberufen stecken und wie viel Verantwortung die Pflegenden tragen, sind die Löhne sehr tief. Diese variieren stark nach Funktionsstufe. Hier einige Zahlen:
Die Frage nach dem Pensum scheint in erster Linie durch zwei Faktoren bestimmt: Einerseits hegen viele Pflegenden aufgrund der hohen Arbeitsbelastung sowie den unregelmässigen Arbeitszeiten den Wunsch ihr Pensum zu reduzieren. Andererseits aber ist dieser Wunsch aus finanzieller Perspektive nur schwer umzusetzen. Insbesondere für Fachangestellte Gesundheit und das Assistenzpersonal ist eine Pensen-Reduktion ohne eine einschneidende Reduktion des Lebensstandards nicht möglich. Problematisch ist hierbei, dass Betriebe nicht selten versuchen, überlastete oder gesundheitlich angeschlagene Pflegende zu tieferen Pensen zu zwingen – einerseits aus Gründen des Gesundheitsschutzes, andererseits aber auch weil ein grosser Anteil Pflegender mit tiefen Pensen eine flexiblere Planung ermöglicht. Dies führt aber bei einem Grossteil des Personals tatsächlich zu finanziellen Notlagen und einem Leben in Armut.
Es erstaunt deshalb auch nicht, dass bei einer Blitzumfrage auf Facebook von rund 120 Teilnehmenden 97 «mehr Lohn» als eines ihrer zwei wichtigsten Anliegen genannt haben. 16 Pflegende haben zudem erklärt, dass sie sich wünschen, nur 80 Prozent zu arbeiten, aber bei 100 Prozent Lohn.
Pflegenden schlägt ihre Arbeit körperlich und psychisch auf die Gesundheit. Sie fallen krankheitsbedingt länger aus, die meisten haben Rückenschmerzen und andere körperliche Beschwerden. Probleme mit Schlafen, depressive Verstimmungen und Angstzustände kommen ebenfalls dazu.
7 von 10 Pflegenden waren schon mal länger als einen Monat krankgeschrieben. Und typisch für Stress: Die Beschwerden treten gehäuft auf. Tatsache ist: Je schwieriger die Arbeitsbedingungen, desto mehr Beschwerden treten im Durchschnitt auf.
Die mangelnde Arbeitsgesundheit ist in Pflegeheimen ein grosses Problem. Das häufige Auftreten körperlicher Beschwerden, insbesondere von Rücken- und Gelenkschmerzen, ist ein Hinweis auf eine konstante Überbelastung der Arbeitnehmenden. Dies resultiert zwangsläufig aus den durchgetakteten Pflegearbeiten. Wird das Personal nur unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten eingesetzt – beispielsweise mit geteilten Diensten – führt dies im Endeffekt zu mehr Beschwerden. Es fehlen während des Arbeitstags die ruhigeren Phasen, wie beispielsweise der Austausch oder die Betreuung von Bewohner/innen.
Die häufig auftretenden psychischen Beschwerden stehen insbesondere in Zusammenhang mit den Anforderungen, die durch den Betrieb an die Flexibilität der Arbeitnehmenden gestellt werden. Von jenen Befragten, die an freien Tagen erreichbar sein müssen, leiden beispielsweise 71 Prozent an Schlafproblemen, bei denjenigen, die nicht erreichbar sein müssen sind es nur 58 Prozent. Aber auch die Führungsleistung ist ein wichtiger Faktor für das psychische Wohlbefinden.
Personalmangel ist ein grosses Problem in der Pflege. Aber auch die Zukunftsaussichten. Insbesondere jüngere Pflegende sehen langfristig keine Zukunft in ihrer Branche und wollen nicht bis ins zur Pensionierung im Beruf bleiben. Insgesamt hegt fast die Hälfte der Befragten in der Langzeitpflege einen Ausstiegswunsch.
33 Prozent gaben als Grund die «hohe Belastung durch unzureichende Arbeitsbedingungen» an, 49 Prozent begründeten ihren Ausstiegswunsch primär mit gesundheitlichen Problemen durch den Pflegeberuf.
Die Gründe für den Berufsausstieg stehen zum einen ganz klar in direkter Verbindung mit dem konstanten Druck und den oben beschriebenen schlechten Arbeitsbedingungen, die direkt zu einem Push-Effekt führen. Zum anderen sind es auch die gesundheitlichen Probleme der Beschäftigten, die sie zu einem Berufsausstieg zwingen. Auch diese stehen im Zusammenhang mit der konstanten physischen und psychischen Überbelastung des Personals.